Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
heutigen, inzwischen mit Eisen beschlagenen Holzkreuzes, Einweihung mit 700 (!) Menschen auf dem Gipfel
1945
Erste Auffahrt mit dem Motorrad
1972
Erste Überlegungen zum Bau eines Tunnels
1986
Erstbegehung im Handstand
2006
Beginn der Bauarbeiten zum Kramertunnel
2013
Erste Geiselnahme
35
Es herrschte absolute Stille in knapp zweitausend Meter Höhe. Das Gipfelbuch lag aufgeschlagen da, und federleichte Windstöße bewegten die Blätter.
Schön hier oben … herrliche Aussicht … grandioses Panorama …
Doch auch das geisterhafte Steigen, Stehen und Fallen der Gipfelbuchseiten geschah langsam und lautlos.
Paradiesisch … Göttlich … Himmlisch …
Und jetzt, mitten in die furchtbare Stille hinein, platzte ein furchtbar kleines Geräusch.
Zzzzing …
Houdini horchte auf. Was verdammt nochmal war das gewesen? Houdini öffnete die Augen und linste vorsichtig durch die Maskenschlitze. Der Geiselnehmer war nicht zu sehen. Der Stein, auf dem er in Herrscherpose gethront hatte, war leer. Stand er hinter ihnen und beobachtete sie mit einem hämischen Grinsen? Zuzutrauen war es dem sadistischen Schwein. Oder beschäftigte er sich mit dem verdammten Typen, den er weggeschleppt hatte und der ihnen das alles vermutlich eingebrockt hatte? Vielleicht war der Gangster ja auch schon über alle Berge und hatte sie hier gefesselt zurückgelassen. Diese Möglichkeit bedeutete allerdings auch einen kleinen Hoffnungsschimmer. Die Qual hatte dann ein Ende. Aber andererseits: Es wusste doch niemand, dass sie hier oben waren! Wie lange würden sie auf Rettung warten müssen? Die Lage schien aussichtslos.
Zzzzing …
Der Mann mit der Lederjacke lag bäuchlings am Boden, in unbequemer und verdrehter Haltung, er hatte das Spritzbesteck, dieses nutzlose Zeug, unter sich begraben. Er kniff den Mund noch mehr zusammen als sonst und lugte vorsichtig aus den Schlitzen seiner Maske. Unmerklich drehte er den Kopf. Was war das für ein Geräusch gewesen? Woher war es gekommen? Er stellte sich schaudernd vor, dass der verfluchte Gangster seinen dreckigen Springerstiefel jeden Augenblick in seinen Rücken bohren und ihn anbrüllen würde:
Wen haben wir denn da? Unser Freund hier ist wohl ein ganz Schlauer! Will wissen, was das für ein Geräusch war!
Dicht vor ihm auf dem Boden hatte sich eine kleine Vogelfeder zwischen den Steinen verfangen, winzige Windböen rissen an ihr. In seinem ganzen Körper breiteten sich allmählich Muskelkrämpfe aus, lange konnte er in dieser Stellung nicht mehr verharren. Er richtete sich langsam, unendlich langsam auf, er stemmte sich mit den Armen in einer Geschwindigkeit hoch, in der vermutlich auch Gras wuchs. Er hob den Kopf – und hätte fast entsetzt aufgeschrien. Fünf oder sechs der anderen Geiseln richteten sich ähnlich langsam und vorsichtig auf, ein halbes Dutzend Lady-Gaga-Zombies stieg in Superzeitlupe aus den Gräbern. Ein bizarres Bild.
Zzzzing …
Houdini, der magische Mittelpunkt jeder Party, versuchte sich zu konzentrieren. Was war das nur für ein Geräusch? Es klang bedrohlich. Hatte der Gangster etwas zurückgelassen, was sie weiter in Angst und Schrecken versetzen sollte? War es am Ende eine Zeitschaltuhr, oder eine Maschine, die explodierte, wenn sich nur einer vom Fleck bewegte oder ein Wort sagte? Ging das jetzt ewig so weiter? Hörte die Folter nie auf? Oder gab es eine natürliche Erklärung? Houdini drehte seinen Oberkörper langsam, um das Gipfelkreuz in den Blick zu bekommen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass das untere Viertel abgewetzt und verschrammt aussah. Vielleicht kam das Geräusch von einem Tier, das sich dort zu schaffen machte, vielleicht von einem Specht. Ein Specht in dieser Höhe? Eine Dohle. Aber gab eine Dohle solche Laute von sich? Er behielt, zwischen den anderen Geiseln hindurch, den aufgerissenen Gipfelkasten und das Kreuz im Blick. Er starrte angestrengt hin.
Zzzzing …
Es kam genau aus dieser Richtung, aber er konnte keinerlei Bewegungen erkennen. Er war sich nun sicher, dass eine Zeitbombe hinter dem Kreuz versteckt war. Der Gangster hatte sich entfernt, um nicht selbst Opfer der gewaltigen Explosion zu werden, die sie alle in die Luft sprengen würde. Nur er allein, der magische und entfesselte Houdini, konnte jetzt aufspringen, zum Gipfelkreuz sprinten, nachsehen, wo sich das explosive Kabelgewirr verbarg, und die Höllenmaschine hinunterschleudern über die Felsklippe. Ja, er musste es tun. Er musste seine
Weitere Kostenlose Bücher