Ferne Ufer
du ihn umbringst, hm? Was dann?«
»Dann ist er vermutlich tot«, sagte Jamie trocken.
»Und man hängt dich auf wegen Mord«, gab sie zurück. »Oder du mußt flüchten, weil der Rest von Laoghaires Verwandten hinter dir her ist. Möchtest du etwa eine Blutfehde anzetteln?«
Jamies Augen verengten sich, und in diesem Augenblick sah er seiner Schwester noch ähnlicher.
»Was ich möchte«, sagte er mit Engelsgeduld, »ist mein Frühstück. Willst du mir jetzt was zu essen bringen, oder möchtest du so lange warten, bis ich vor Hunger umfalle, und mich dann im Priesterloch verstecken, bis Hobart wieder weg ist?«
Jennys Miene verriet, daß sie zwischen Verärgerung und Belustigung schwankte. Letztendlich siegte - wie bei allen Frasers - der Humor.
»Das ist eine Überlegung wert«, meinte sie und grinste zögernd. »Wenn ich deinen sturen Kadaver bis dorthin schleppen könnte, würde ich dich eigenhändig niederknüppeln.« Seufzend schüttelte sie den Kopf.
»Also gut, Jamie! Mach, was du willst. Aber keine Schweinerei auf meinem türkischen Teppich, klar?«
Grinsend blickte er zu ihr auf.
»Ich verspreche es, Jenny«, erklärte er. »Kein Blutbad im Salon.«
»Esel«, schnaubte sie, aber ohne Groll in der Stimme. »Janet kommt gleich und bringt dir den Haferbrei.« Und schon war sie mit wirbelnden Röcken verschwunden.
»Hat sie Donas gesagt?« fragte ich, während ich ihr verwirrt nachblickte. »Das kann aber doch sicherlich nicht das Pferd von damals sein, oder?«
»Aber nein.« Jamie legte den Kopf in den Nacken und lächelte mich an. »Der Nachkomme von Donas, oder besser, einer von ihnen. Ihm zu Ehren geben wir jedem rotbraunen Fohlen seinen Namen.«
Ich beugte mich über die Lehne des Sofas und strich ihm sanft von der Schulter abwärts über den verletzten Arm.
»Schlimm?« fragte ich, als meine Hand sich der Wunde näherte.
»Es geht«, antwortete er. Er nahm die Schlinge ab und streckte behutsam den Arm aus. »Aber auf den Handstand mit Überschlag werde ich eine Weile verzichten müssen.«
»Das denke ich auch«, pflichtete ich ihm lachend bei. Dann sagte ich zögernd: »Jamie… die Sache mit diesem Hobart. Meinst du, daß er dich wirklich nicht…?«
»Nein«, sagte er entschieden. »Und selbst wenn, möchte ich davor immer noch mein Frühstück. Ich habe keine Lust, auf nüchternen Magen umgebracht zu werden.«
Ein wenig beruhigt lachte ich. »Ich bringe es dir.«
Als ich in die Eingangshalle trat, bemerkte ich, daß sich vor dem Fenster etwas bewegte, und blieb stehen. Jenny, mit Umhang und Kapuze gegen die Kälte geschützt, steuerte geradewegs auf den Stall zu. Einem Impuls folgend, schnappte ich mir einen Umhang vom Garderobenständer und folgte ihr. Ich hatte mit Jenny Murray ein Wörtchen zu reden, und vielleicht war das die beste Gelegenheit, dies unter vier Augen zu tun.
Kurz vor dem Stall holte ich sie ein. Sie hatte meine Schritte gehört und drehte sich verdutzt um. Als sie erkannte, daß eine Auseinandersetzung unumgänglich war, straffte sie die Schultern, hob den Kopf und blickte mir direkt in die Augen.
»Ich dachte, ich sage dem jungen Ian lieber, er soll das Pferd wieder absatteln«, sagte sie. »Dann gehe ich in den Keller mit dem Wurzelgemüse und hole ein paar Zwiebeln für den Gemüsekuchen. Magst du mitkommen?«
»Ja.« Ich zog den Umhang enger um mich und folgte ihr in den Stall.
Im Vergleich zu draußen war es drinnen nahezu warm. Es duftete angenehm nach Pferden, Heu und Mist. Während ich kurz stehenblieb, um mich an das Dämmerlicht zu gewöhnen, steuerte Jenny sofort leichten Schrittes auf den Mittelgang zu.
Der junge Ian lag ausgestreckt auf einem Ballen Stroh. Als er sie kommen hörte, setzte er sich blinzelnd auf.
Jennys Blick wanderte von ihrem Sohn zu der Box, wo ein rotbraunes Füllen mit sanften Augen seelenruhig Heu fraß. Es trug weder Sattel noch Zaumzeug.
»Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst Donas satteln?« fragte sie den Jungen mit scharfer Stimme.
Mit geradezu dümmlichem Gesichtsausdruck kratzte sich der junge Ian am Kopf und erhob sich.
»Aye, Mama, schon«, sagte er. »Aber ich dachte, es wäre nur Zeitverschwendung, weil ich ihn sowieso wieder absatteln müßte.«
Jenny starrte ihn an.
»Aye?« erwiderte sie. »Warum warst du dir denn so sicher?«
»Mama, du weißt so gut wie ich, daß Onkel Jamie niemals vor etwas wegrennen würde«, meinte Ian lächelnd. »Und schon gar nicht vor Onkel Hobart. Hab’ ich recht?«
Weitere Kostenlose Bücher