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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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fügte er hinzu.
    Jenny blickte ihren Sohn an und seufzte. Dann erhellte ein leises Lächeln ihr Gesicht. Sie streckte die Hand aus und strich ihm das dichte, schwarze Haar aus der Stirn.
    »Aye, kleiner Ian, du hast recht.« Ihre Hand ruhte eine Weile auf seiner geröteten Wange, dann ließ sie sie sinken.
    »Geh ins Haus und frühstücke noch mal mit deinem Onkel«, sagte sie. »Deine Tante und ich gehen in den Gemüsekeller. Aber hol mich auf der Stelle, wenn Hobart MacKenzie auftaucht!«
    »Wird gemacht, Mama«, versprach er und rannte, angespornt von der Aussicht auf etwas zu essen, zurück zum Haus.
    Jenny beobachtete wie er mit der unbeholfenen Grazie eines jungen
Schreikranichs davoneilte. Immer noch lächelnd, schüttelte sie den Kopf.
    »Lieber Kerl«, murmelte sie. Doch dann fiel ihr ein, daß ich auch noch da war, und sie wandte sich entschlossen zu mir um.
    »Also komm mit, ich nehme an, du willst mit mir reden.«
     
    Keine von uns sprach etwas, bis wir im Gemüsekeller angelangt waren. Es war ein kleiner Raum, den man unter dem Haus ausgehoben hatte. Die langen, schmalen Zwiebel- und Knoblauchzöpfe, die von den Dachbalken herunterhingen, verströmten einen scharfen Geruch. Er mischte sich mit dem würzigen Duft getrockneter Äpfel und feuchter erdiger Kartoffeln, die nebeneinander in Regalen lagerten.
    »Weißt du noch, wie du mir geraten hast, Kartoffeln anzupflanzen?« fragte Jenny und strich behutsam über die Knollen. »Das war unser Glück. Sie haben uns in mehr als einem Winter nach Culloden das Leben gerettet.«
    Ja, ich erinnerte mich. An einem kalten Herbstabend hatten wir beieinandergestanden und uns Lebewohl gesagt - sie wollte zu ihrem Neugeborenen zurück, und ich wollte Jamie suchen, den Geächteten, zum Tode Verurteilten. Ich hatte ihn aufgespürt und gerettet - und offensichtlich auch Lallybroch. Und Jenny hatte beides an Laoghaire verschenken wollen.
    »Weshalb?« fragte ich schließlich leise. Jenny stand vornübergebeugt und zupfte mechanisch eine Zwiebel von einem Zopf und warf sie in den Korb neben sich.
    »Warum hast du es getan?« fragte ich. Ich zupfte ebenfalls eine Zwiebel ab, legte sie aber nicht in den Korb, sondern rollte sie in den Händen hin und her.
    »Warum habe ich was getan?« Ihre Stimme klang sehr beherrscht. Nur jemand, der Jenny gut kannte - und ich kannte sie gut, oder besser, hatte sie einmal gut gekannt - vernahm den angespannten Unterton.
    »Weshalb ich meinen Bruder und Laoghaire zusammengebracht habe, meinst du?« Sie blickte mit hochgezogenen Brauen auf und beugte sich sofort wieder zu den Zwiebeln hinunter. »Du hast recht. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er es nie getan.«
    »Du hast ihn also auf den Gedanken gebracht«, sagte ich.

    Der Wind rüttelte an der Tür zum Keller.
    »Er war einsam«, erklärte sie leise. »So einsam, daß ich seinen Anblick nicht mehr ertragen konnte. Er war so lange unglücklich und hat um dich getrauert.«
    »Ich hatte geglaubt, er sei tot«, rechtfertigte ich mich leise auf diese stumme Anklage.
    »Er war so gut wie tot«, entgegnete sie scharf. Sie erhob sich seufzend und strich sich eine schwarze Locke aus dem Gesicht.
    »Vielleicht hast du wirklich nicht gewußt, daß er noch am Leben war. Nicht viele haben Culloden überlebt. Und er hat ja auch geglaubt, du seist tot. Er war schlimm verwundet, nicht nur am Bein. Und als er aus England zurückkam…« Sie schüttelte den Kopf und zupfte eine weitere Zwiebel ab. »Er sah gesund aus, aber…« Sie sah mir geradewegs ins Gesicht, mit jenen blauen Katzenaugen, die denen ihres Bruders so beunruhigend ähnlich waren. »Er gehört nicht zu den Männern, die allein schlafen sollten.«
    »Zugegeben«, erwiderte ich harsch. »Aber wir waren beide noch am Leben. Warum hast du Laoghaire benachrichtigt, als wir mit dem jungen Ian zurückkehrten?«
    Jenny schwieg eine Weile, sammelte emsig Zwiebeln und legte sie in den Korb.
    »Ich hab’ dich gemocht», sagte sie schließlich so leise, daß ich sie kaum verstehen konnte, »dich vielleicht sogar geliebt, als du damals mit Jamie bei uns gelebt hast.«
    »Ich mochte dich auch«, entgegnete ich leise. »Warum also?«
    Ihre Hände kamen schließlich zur Ruhe. Die Fäuste in die Seiten gestemmt, sah sie zu mir auf.
    »Als Ian mir erzählte, daß du zurückkommst«, begann sie langsam und blickte unverwandt auf die Zwiebeln, »war ich wie vom Donner gerührt. Anfangs war ich begierig, dich wiederzusehen und zu erfahren, wo du gewesen

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