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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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was?« hatte ich gefragt, als ich von dem Vorschlag hörte.
    »Als Frachtaufseher«, hatte Jared geduldig erklärt. »Das ist der Mann, der das Einladen, das Ausladen, den Verkauf und die Übergabe der Ware überwacht. Der Kapitän und die Mannschaft sind nur für das Schiff zuständig, jemand muß sich um die Fracht kümmern. Falls das Wohl der Fracht betroffen ist, haben die Anordnungen des Frachtaufsehers höheren Rang als die des Kapitäns.«
    Und so wurde es abgemacht. Während Jared freudig bereit war, ein Risiko einzugehen, um einem Verwandten zu helfen, sah er keinen Grund, dies nicht zu seinem Vorteil zu nutzen. Daher hatte er
rasch Vorkehrungen getroffen, die Artemis in Bilbao und Le Havre mit verschiedenen Waren zu beladen. In Jamaika sollte der Großteil davon gelöscht werden, und wir würden dafür sorgen, daß die Artemis die Rückreise mit einer Ladung Rum von der Zuckerrohrplantage Fraser & Cie. auf Jamaika antreten würde.
    Die Rückfahrt sollte jedoch erst erfolgen, wenn Ende April oder Anfang Mai besseres Wetter einsetzte. Und bis dahin würden Jamie Schiff und Mannschaft zur Verfügung stehen, um nach Barbados - oder zu anderen Inseln - zu segeln und Ian zu suchen. Drei Monate. Ich hoffte, das würde reichen.
    Es war eine großzügige Vereinbarung. Jared, der seit vielen Jahren als Weinhändler in Frankreich lebte, war reich genug, um den Verlust eines Schiffes zu verkraften - so bedauerlich das sein mochte, es würde ihn nicht vernichten. Es entging mir nicht, daß wir sehr viel mehr, nämlich unser Leben, aufs Spiel setzten.
    Der Wind schien etwas abzuflauen, doch ich konnte immer noch nicht einschlafen, und so trat ich mit der Decke um die Schultern ans Fenster.
    Der Himmel war tiefgrau marmoriert, der Mond versilberte die Ränder der dahinjagenden Regenwolken, hinter denen er sich verbarg, und Regentropfen liefen über die Fensterscheibe. Doch das Licht, das durch die Wolken drang, reichte mir, um die Masten der Schiffe zu erkennen, die am Kai vertäut lagen. Die Segel zum Schutz gegen den Sturm eng eingerollt, hoben und senkten sich im unruhigen Rhythmus der Wellen, die gegen die Schiffe schlugen. In einer Woche würde ich auf einem von ihnen in See stechen.
    Ich hatte nicht gewagt, darüber nachzudenken, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich Jamie gefunden hatte, geschweige denn, was werden sollte, wenn ich ihn nicht fand. Dann hatte ich ihn gefunden und in rascher Folge verschiedene Möglichkeiten durchgespielt: das Leben als Frau eines Druckers in der politischen und literarischen Welt Edinburghs, das gefährliche, unstete Dasein einer Schmugglerbraut und schließlich das arbeitsame, geordnete Leben auf einer Hochlandfarm, das ich von früher her kannte und liebte.
    Nun waren diese Möglichkeiten ebenso rasch entschwunden, und ich blickte abermals einer ungewissen Zukunft entgegen.
    Seltsamerweise fand ich das nicht sonderlich bedrückend, sondern eher aufregend. Ein geordnetes Leben hatte ich zwanzig Jahre
lang geführt, verwurzelt durch meine Bindung an Brianna, an Frank, an meine Patienten. Nun hatte mich das Schicksal - nicht ohne mein Zutun - von alledem losgerissen, und ich fühlte mich, als triebe ich in der Brandung, Kräften ausgeliefert, die viel stärker waren als ich.
    Von meinem Atem beschlug die Scheibe. Ich malte ein kleines Herz in die milchigweiße Oberfläche, wie ich es früher für Brianna zu tun pflegte. Dann hatte ich ihre Initialen in das Herz geschrieben - B. E. R. für Brianna Ellen Randall. Ob sie sich noch Randall nannte? Oder jetzt vielleicht Fraser? Nach kurzem Zögern malte ich zwei Buchstaben in das Herz - ein »J« und ein »C«.
    Ich stand noch vor dem Fenster, als die Tür aufging und Jamie hereinkam.
    »Bist du noch auf?« fragte er überflüssigerweise.
    »Der Regen hat mich wachgehalten.« Ich ging zu ihm und umarmte ihn, heilfroh, daß seine Wärme den kalten Trübsinn der Nacht vertrieb.
    Er drückte mich an sich und legte seine Wange auf mein Haar. Er roch nach Kerzenwachs und Tinte.
    »Hast du etwas geschrieben?« fragte ich.
    Er sah mich erstaunt an. »Das habe ich, aber woher weißt du das?«
    »Du riechst nach Tinte.«
    Er lächelte, trat einen Schritt zurück und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Du hast eine so feine Nase wie ein Trüffelschwein, Sassenach.«
    »Welch elegantes Kompliment! Was hast du denn geschrieben?«
    Als das Lächeln von seinem Gesicht verschwand, sah er nur noch angespannt und müde aus.
    »Einen Brief an

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