Ferne Ufer
Jenny«, sagte er. Er ging zum Tisch, zog seinen Rock aus und löste Halsbinde und Jabot. »Ich wollte ihr nicht schreiben, bevor wir Jared gesprochen hatten, damit ich ihr gleich mitteilen konnte, was wir vorhaben und wie die Aussichten stehen, Ian gesund nach Hause zu bringen.« Er schnitt eine Grimasse und zog sein Hemd über den Kopf. »Gott weiß, was sie macht, wenn sie den Brief bekommt - und Gott sei Dank werde ich dann gerade auf hoher See sein«, fügte er gequält hinzu.
Diesen Brief abzufassen war ihm bestimmt schwergefallen, und
doch schien ihm nun leichter ums Herz zu sein. Er setzte sich, um Schuhe und Strümpfe auszuziehen, und ich trat hinter ihn, um seinen Zopf zu lösen.
»Ich bin froh, daß ich’s hinter mich gebracht habe«, fuhr er fort, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Davor hat mir am meisten gegraut.«
»Du hast ihr die Wahrheit gesagt?«
Er zuckte die Achseln. »Die habe ich ihr noch nie verschwiegen.«
Außer was mich betraf. Ich sprach den Gedanken jedoch nicht aus, sondern begann statt dessen, seine Schultern zu massieren und die verhärteten Muskeln durchzukneten.
»Was hat Jared mit Mr. Willoughby gemacht?« fragte ich, da mir beim Massieren der Chinese wieder einfiel. Er hatte uns auf der Überfahrt nach Frankreich begleitet und sich stets wie ein blauseidener Schatten in Jamies Nähe aufgehalten. Jared, der im Hafen die ganze Welt kennengelernt hatte, gewann Mr. Willoughby sofort für sich, indem er sich feierlich vor ihm verneigte und einige Worte in Mandarin an ihn richtete. Jareds Haushälterin hingegen begegnete dem ungewöhnlichen Gast mit größtem Mißtrauen.
»Ich glaube, er ist zum Schlafen in den Stall gegangen«, gähnte Jamie und streckte sich genüßlich. »Mathilde sagte, sie sei es nicht gewohnt, Heiden zu beherbergen, und so wolle sie es auch weiterhin halten. Sie hat die Küche mit Weihwasser besprengt, nachdem er dort gegessen hatte.« Er blickte auf, sah das Herz, das ich auf die Fensterscheibe gemalt hatte, und lächelte.
»Was ist das?«
»Nur eine Albernheit.«
Er griff nach meiner rechten Hand und liebkoste die kleine Narbe unterhalb meines Daumens, den Buchstaben »J«, den er dort eingeritzt hatte, als ich ihn am Vorabend der Schlacht von Culloden verließ.
»Ich habe dich nicht gefragt, ob du mit mir kommen willst. Du könntest hierbleiben. Jared würde dich hier oder auch in Paris willkommen heißen. Du könntest auch nach Lallybroch zurückkehren, wenn du möchtest.«
»Nein, du hast nicht gefragt«, erwiderte ich. »Weil du verdammt genau weißt, welche Antwort du darauf bekommst.«
Wir sahen uns an und lächelten. Die Falten der Verzweiflung und der Müdigkeit hatten sich geglättet. Das Kerzenlicht glänzte in seinen roten Haaren, als er sich über mich beugte und zärtlich meine Handfläche küßte.
Der Wind pfiff immer noch im Kamin, und der Regen lief wie Tränen über die Fensterscheiben, aber das kümmerte mich nicht mehr. Nun konnte ich schlafen.
Am Morgen hatte es aufgeklart. Eine frische Brise zerrte an den Fensterläden von Jareds Arbeitszimmer, konnte aber nicht in den gemütlichen Raum eindringen. Das solide Fachwerkhaus in Le Havre war viel kleiner als Jareds luxuriöses Stadthaus in Paris, wies aber immerhin drei Stockwerke auf.
Ich streckte meine Füße aus, um sie an dem knisternden Feuer zu wärmen und tauchte meine Feder ins Tintenfaß. Ich wollte eine Liste aller Arzneien und Vorräte zusammenstellen, die ich auf einer zweimonatigen Reise benötigen würde. Reiner Alkohol war am wichtigsten und am leichtesten zu besorgen; Jared hatte versprochen, mir ein Fäßchen aus Paris mitzubringen.
»Wir sollten ihn jedoch mit einem anderen Etikett versehen«, meinte er. »Sonst haben ihn die Seeleute getrunken, noch bevor ihr den Hafen verlassen habt.«
Gereinigtes Schweineschmalz , schrieb ich bedächtig, Johanniskraut; Knoblauch, zehn Pfund; Schafgarbe, Borretsch .
Ich kam nur langsam voran. Einst war ich mit der medizinischen Anwendung von allen gewöhnlichen und vielen außergewöhnlichen Kräutern vertraut gewesen, und das mußte ich auch, denn etwas anderes gab es nicht.
Zudem erwiesen sich viele von ihnen als überraschend wirksam. Ungeachtet der Skepsis - und des regelrechten Entsetzens - meiner Vorgesetzten und Kollegen im Krankenhaus von Boston hatte ich gelegentlich sogar meine modernen Patienten erfolgreich damit behandelt. (»Haben Sie gesehen, was Dr. Randall gemacht hat?« Den entsetzten Aufschrei
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