Ferne Ufer
sagte Jamie höflich. Lächelnd musterte er Meyers Kleidung, die aussah, als hätte er sie vom Lumpensammler. »Und ziemlich staubig vermutlich«, fügte er hinzu. »Trinken Sie ein Glas Wein?«
Dieses Angebot schien Meyer zu verwirren, aber schließlich nickte er zustimmend.
Doch sobald er sein Bündel geöffnet hatte, war seine Schüchternheit verflogen. Der formlose Sack sah aus, als enthielte er bestenfalls eine Garnitur zerschlissener Leinenwäsche und Meyers Mittagsmahl, aber tatsächlich förderte er mehrere Holzfächer zutage, die geschickt in einen Rahmen im Inneren gefügt waren, und in jedem Fach lagen winzige Lederbeutelchen.
Der junge Mann holte ein zusammengefaltetes Tuch hervor, schlug es auseinander und breitete es mit Schwung auf Jamies Schreibtisch aus. Dann öffnete er ein Beutelchen nach dem anderen, schüttete ihren Inhalt aus und legte die glänzenden Münzen ehrfurchtsvoll nebeneinander auf den tiefblauen Samt.
»Ein Aureus des Aquila.« Er berührte eine kleine Münze, die den weichen Glanz alten Goldes besaß. »Und hier ein Sesterz des Calpurnius.« Seine Stimme war leise und seine Hand sicher, als er über den Rand einer kaum abgegriffenen Silbermünze strich oder eine andere in seiner Hand wog.
Er blickte auf, und seine Augen strahlten vom Abglanz des kostbaren Metalls.
»Monsieur Fraser sagt, daß Sie den Wunsch haben, so viele griechische und römische Raritäten wie möglich zu begutachten. Ich führe natürlich nicht meinen ganzen Bestand mit mir, aber ich habe hier einige - und ich könnte andere aus Frankfurt holen lassen, wenn Sie es wünschen.«
Lächelnd schüttelte Jamie den Kopf. »Ich fürchte, dafür bleibt uns keine Zeit, Monsieur Meyer. Wir…«
»Einfach Meyer, Monsieur Fraser«, fiel ihm der junge Mann vollkommen höflich, aber leicht gekränkt ins Wort.
»Fürwahr«, sagte Jamie mit einer leichten Verbeugung. »Ich hoffe, daß mein Vetter Sie nicht irregeführt hat. Ich komme selbstverständlich für Ihre Reisekosten und für Ihre Zeit auf, aber ich habe nicht den Wunsch, selbst etwas aus Ihren Beständen zu erwerben… Meyer.«
Fragend zog der junge Mann die Brauen hoch.
»Was ich wünsche«, sagte Jamie bedächtig und beugte sich vor, um die Münzen genau zu begutachten, »ist, Ihre Münzen mit meiner Erinnerung an mehrere antike Münzen zu vergleichen, die ich gesehen habe. Und falls ich ähnliche Stücke darunter entdecke, möchte ich fragen, ob Sie - oder besser gesagt Ihre Angehörigen, denn Sie selbst dürften zu jung sein - eine Person kennen, die derartige Münzen vor zwanzig Jahren gekauft haben könnte.«
Er blickte zu dem jungen Juden auf, der verständlicherweise erstaunt war und lächelte.
»Das ist vielleicht ein bißchen viel verlangt, ich weiß. Aber mein Vetter sagt, daß Ihre Familie zu den wenigen gehört, die mit dergleichen handeln, und auf diesem Gebiet die größten Kenntnisse besitzt. Und wenn Sie mich außerdem noch an jemanden in Westindien verweisen könnten, der sich für solche Münzen interessiert, wäre ich Ihnen sehr verbunden.«
Meyer blickte ihn wortlos an, dann neigte er den Kopf, so daß sich die Sonne in den kleinen Gagatperlen fing, die sein Käppchen zierten. Offensichtlich war er überaus neugierig, aber er wies auf sein Bündel und sagte nur: »Einen solchen Verkauf hätten wohl mein Vater oder mein Onkel getätigt und nicht ich. Aber ich habe hier einen Katalog mit Aufzeichnungen über jede Münze, die in den letzten dreißig Jahren durch unsere Hände gegangen ist. Ich werde Ihnen sagen, was ich weiß.«
Er schob das Samttuch näher an Jamie heran und lehnte sich zurück.
»Hat eins meiner Stücke Ähnlichkeit mit den Münzen, an die Sie sich erinnern?«
Jamie betrachtete die Münzen prüfend, dann stupste er behutsam ein Silberstück an, das etwa so groß war wie ein amerikanischer Vierteldollar. Drei springende Delphine am Rand umkreisten einen Wagenlenker in der Mitte.
»Diese«, sagte er. »Es gab mehrere in der Art - mit kleinen Unterschieden, aber mit solchen Delphinen.« Er ließ seinen Blick wieder über die Münzen schweifen, dann nahm er ein Goldstück mit einem undeutlichen Profil und ein etwas größeres Silberstück in besserem Zustand, das einen Männerkopf von vorn und im Profil zeigte.
»Diese auch. Vierzehn von den goldenen und zehn von den silbernen mit den zwei Köpfen.«
»Zehn!« Erstaunt riß Meyer die Augen auf. »Ich hätte nicht gedacht, daß es überhaupt noch so viele davon
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