Ferne Ufer
schockiert, die offenbarte, daß sie gleich etwas Saftiges zu enthüllen habe. »Natürlich hast du schon von den Abernathys gehört! Weißt du nicht mehr, der Mann, der Rose Hall gekauft hat, oben am Yallah?«
»Aber ja!« Mrs. Hall riß die Augen auf. »Der Mann, der nach dem Kauf so schnell starb?«
»Ja, genau der«, schaltete sich eine andere Dame ein, die das Gespräch mit angehört hatte. »Malaria hieß es, aber ich habe mit seinem Arzt gesprochen - er war zu uns gekommen, um Mamas krankes Bein zu verbinden, sie leidet doch so unter Wassersucht - und er hat mir gesagt - natürlich streng vertraulich…«
Und schon ging der Tratsch los. Ich hörte das, was Rosie MacIver erzählt hatte, und mehr. Ich mischte mich in das Gespräch und lenkte es in die gewünschte Richtung.
»Hat Mrs. Abernathy außer Sklaven auch weiße Zwangsarbeiter?«
Hier gingen die Meinungen stark auseinander. Einige glaubten, sie habe mehrere Zwangsarbeiter, andere glaubten, nur einen oder zwei - keine der Anwesenden hatte Rose Hall je betreten, aber natürlich, was man so hörte …
Kurz darauf wandte man sich schon wieder einem neuen Thema zu - das unglaubliche Benehmen des neuen Hilfspfarrers Mr. Jones und der verwitweten Mrs. Mina Alcott. Aber was sollte man schon von einer Frau mit ihrem Ruf erwarten, und bestimmt war es nicht nur die Schuld des jungen Mannes, aber natürlich würde man von einem Geistlichen ein höheres moralisches Niveau erwarten… Ich entschuldigte mich und stahl mich mit klingenden Ohren zur Damentoilette.
Vor dem Spiegel im Vorraum schob ich einzelne Locken zurück, die sich beim Tanzen gelöst hatten, und genoß den Augenblick Ruhe. Der luxuriös ausgestattete Raum bestand eigentlich aus drei Räumen: den eigentlichen Toiletten, einer Garderobe für die Aufbewahrung von Hüten, Stolen und Mänteln und dem Hauptraum,
in dem ich stand. Hier befand sich nicht nur ein langer Pfeilerspiegel und ein komplett bestückter Kosmetiktisch, sondern auch eine Chaiselongue, die mit rotem Samt bezogen war. Wehmütig blickte ich darauf - die Schuhe, die ich trug, drückten entsetzlich -, aber die Pflicht rief.
Bisher hatte ich nichts Neues über die Plantage der Abernathys in Erfahrung gebracht. Allerdings hatte ich eine Liste von weiteren Plantagen in der Nähe von Kingston gesammelt, die Zwangsarbeiter beschäftigten. Ich fragte mich, ob Jamie vorhatte, seinen Freund, den Gouverneur, um Hilfe zu bitten - möglicherweise rechtfertigte das unser Erscheinen hier an diesem Abend.
Aber die Reaktion von Lord John auf die Enthüllung meiner Identität verwirrte und beunruhigte mich. Ich sah mein violettes Abbild im Spiegel finster an, konnte aber nichts entdecken, was Lord Johns erstaunliches Verhalten hätte erklären können.
Ich zuckte die Achseln, blinzelte meinem Spiegelbild verführerisch zu, schob mir das Haar noch einmal zurecht und kehrte in den Salon zurück.
Ich bahnte mir den Weg zu dem langen Buffettisch, auf dem Kuchen, Pasteten, Nachspeisen, Früchte, Bonbons und gefüllte Teigtaschen sowie zahlreiche Dinge aufgereiht waren, die ich nicht benennen konnte. Als ich mich mit einer Schale Früchte gedankenverloren vom Buffettisch abwandte, wäre ich fast mit einer dunklen Weste zusammengestoßen. Als ich mich verwirrt bei deren Besitzer entschuldigte, blickte ich in das mürrische Gesicht von Reverend Archibald Campbell.
»Mrs. Malcolm!« rief er erstaunt aus.
»Ah… Reverend Campbell«, erwiderte ich mit schwacher Stimme. »Was für eine Überraschung.« Vorsichtig tupfte ich an einem Mangofleck auf seinem Bauch herum, doch er trat resolut einen Schritt zurück, und ich ließ von ihm ab.
Mit kaltem Blick sah er auf mein Dekolleté.
»Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Mrs. Malcolm?« fragte er.
»Ja, danke«, erwiderte ich. Ich wünschte, er würde aufhören, mich Mrs. Malcolm zu nennen, bevor jemand, dem ich als Madame Alexandre vorgestellt worden war, es mitbekam.
»Das mit Ihrer Schwester tut mir sehr leid«, bemerkte ich, um ihn abzulenken. »Haben Sie schon etwas von ihr gehört?«
Er machte eine steife Verbeugung, um sich für mein Mitgefühl zu bedanken.
»Nein. Meinen Bemühungen, die Suche nach ihr aufzunehmen, sind natürlich enge Grenzen gesetzt«, meinte er. »Daher hat mir ein Mitglied meiner Gemeinde geraten, ihn und seine Frau hierherzubegleiten, um meinen Fall dem Gouverneur vorzutragen und ihn um Hilfe zu ersuchen. Ich versichere Ihnen, Mrs. Malcolm, nur ein solch schwerwiegender Grund
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