Feuer der Nacht
Stunde auf den Heimweg machten, gingen auch die Straße hinunter, sodass sie nicht allein war, doch ihr Wagen parkte an die dreißig Meter weit weg von den anderen. Sie sagte auch zu ihnen gute Nacht, und alle beglückwünschten sie zu dem gelungenen Abend. Sie dankte ihnen und setzte ihren Weg fort, wobei ihre Absätze auf dem Gehsteig klapperten.
Zu dieser späten Stunde war in dem gehobenen Mittelschichtviertel in hübscher Lage von Atlanta alles ruhig; die hohen Bäume an den Straßen warfen tiefe Schatten und verliehen dem Ambiente etwas Sinnliches. In der Nähe besaß jemand einen Blumengarten; der intensive süße Duft wehte zu Jaclyn herüber und ließ in ihr den Wunsch nach einem kleinen Patio-Garten entstehen, obwohl sie wusste, dass sie gar keine Zeit hatte, ihn zu hegen und zu pflegen. In der Ferne hörte sie Autotüren zuschlagen und Leute lachen. Der Abend war prima gelaufen. Genauer gesagt: Der letzte Teil des Abends war prima gelaufen.
Sie sperrte ihren Jaguar auf, stieg ein und atmete tief durch, wobei sie geistig noch einmal die Aufgaben durchging, die nach diesem langen Tag nun erledigt waren. Das Schlimmste war geschafft. Drei Hochzeiten waren abgehakt, drei weitere standen noch aus. Ihre Mutter und Peach brachten vermutlich in diesem Moment die Hochzeit in Pink zum Abschluss. Sobald sie zu Hause war, wollte sie anrufen und sich erkundigen, ob alles glattgegangen und auch die Hochzeitsprobe samt Familiendrama erledigt war. Da sie an dem Abend keinen Anruf erhalten hatte, konnte sie davon ausgehen, dass keine größeren Kata-
strophen eingetreten waren. Ausrutscher vielleicht, Katastrophen aber nicht. Das war ja schon mal etwas.
Die große Hochzeit am Sonntag bedeutete für Premier dann einen Ganztagsjob, aber zumindest stand sonst nichts weiter an. Sobald sie über die Bühne war, konnten sie eine Atempause einlegen, sich ein paar Tage ausruhen und Kräfte sammeln. Vielleicht würde sie sich den Montag sogar freinehmen. Seit sie mit Madelyn Premier aufgezogen hatte, gab es keinen Tag, an dem sie einfach nicht zur Arbeit gegangen war. Sie hatte vor drei Jahren einmal eine Woche Urlaub gemacht, und sie war einige Male zu Hause geblieben, weil sie krank gewesen war und man sie nicht dringend gebraucht hatte; aber ansonsten war sie stets da gewesen. Nach dieser fürchterlichen Woche hatte sie sich eine kleine Pause verdient.
Jaclyn ließ den Motor an und legte den Gang ein, nahm den Fuß jedoch nicht von der Bremse, als sie einen Blick über die Schulter warf, um den Verkehr zu prüfen. Eine gute Idee, denn hinter ihr fuhr unweit der Kreuzung ein Wagen aus einer Parklücke und preschte zwischen den Fahrbahnen schlingernd die Straße hinunter. Jaclyn ging automatisch in Habachtstellung, hatte ein Auge auf das heranrasende Auto, während sie abwartete, dass es vorbeifuhr. Aus dem wild schlingernden Wagen zu schließen musste der Fahrer betrunken sein. Sie hoffte, dass er nicht von der Hochzeitsfeier kam. Klar, einige Gäste hatten über den Durst getrunken, doch keiner hatte sich volllaufen lassen. Es war auch niemand vor ihr und dem Paar hergelaufen, das gemeinsam mit ihr die Straße überquert hatte, aber natürlich bestand die Möglichkeit, dass der Fahrer früher gegangen und sich einen Moment in sein Auto gesetzt hatte in der Hoffnung, nüchterner zu werden oder auch seinen Zündschlüssel zu finden.
Zum Glück war sie noch nicht auf die Straße herausgefahren; sobald dieser Idiot an ihr vorbei war – hoffentlich ohne seitlich in sie hineinzuschleudern –, wäre der Zeitpunkt gekommen. Doch als sie das Auto im Rückspiegel beobachtete, stieg die Möglichkeit, dass es wirklich krachen würde. Der Wagen schien genau auf sie zuzuschießen. Die Entfernung war in Sekunden zurückgelegt, doch die Zeit zog sich qualvoll lange hin. Sie packte das Lenkrad, um sich zu wappnen, schloss die Augen und betete.
Das Auto kam auf gleiche Höhe. Es kam nicht gänzlich zum Stehen, sondern drosselte so unvermittelt das Tempo, dass die Reifen quietschten. Jaclyn öffnete die Augen und riss den Kopf herum, doch obwohl die Straßenbeleuchtung auf den Fahrer fiel, war er nichts als ein dunkler Fleck. Sie sah jedoch, wie das Licht etwas Metallisches reflektierte, das auf sie gerichtet war. Den Bruchteil einer Sekunde herrschte Ungläubigkeit, doch dann erkannte sie, worum es sich bei dem metallischen Etwas handelte: eine Pistole.
Es ertönte ein lauter Knall, und das Fenster neben ihr explodierte schier, Splitter
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