Feuer der Nacht
der Sicherheitsscheibe regneten auf sie nieder. Der warme Luftzug traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Instinktiv duckte sie sich und warf sich zur Seite auf die Mittelkonsole. Es knallte ein weiterer Schuss – viel lauter diesmal, weil ja das Fenster kaputt war. Wieder fühlte sie die warme Luft wie einen Schlag ins Gesicht, und sie presste den Kopf ins weiche Leder des Autositzes, als könnte sie so der Kugel entkommen. Sie hörte Schreie – ihre eigenen Schreie, wie ihr vage bewusst wurde.
Heiliger Himmel, sie saß hier fest! Wenn sie versuchte, aus dem Auto zu kommen, müsste sie den Kopf heben, doch dann machte sie sich zur Zielscheibe. Aber was, wenn der Schütze gerade eben aus seinem Wagen stieg und zu ihrem kaputten Fenster hinüberging? Sie saß in der Falle. Sie konnte nichts tun. Es gab kein Entrinnen. Sie würde bei einem sinnlosen Drive-by-Überfall sterben. Eine Woge der Reue erfasste sie, dass ihr übel wurde, denn nun würde sie Eric nie sagen können, dass …
» Jaclyn!« Das war Diedras Stimme, die da brüllte – ihre laute, schrille Stimme übertönte ihre eigenen Schreie. Noch andere Geräusche waren zu vernehmen: ein Mann, der etwas brüllte, eine Autotür, die zugeworfen wurde – dann, anstatt des dritten Schusses, mit dem sie gerechnet hatte, hörte sie plötzlich das Quietschen der Reifen, als der Killer, der sie fast ermordet hätte, davonraste.
Die Zeit verlangsamte sich, zäh wie kalter Zuckersirup. Jaclyn hörte das Rasseln der Luft in ihrer Kehle, spürte jeden Schlag ihres trommelnden Herzens im Körper. Der Geruch von Leder hing ihr in der Nase, gemischt mit dem süßen Blumenduft und dem scharfen Geruch von Schießpulver.
Langsam, als wäre sie innerhalb von Sekunden um siebzig Jahre gealtert, richtete sie sich auf und sah sich um. Zu ihrer Überraschung schlingerte das Auto des Schützen noch auf der Straße vor der Kirche dahin, die Reifen um Bodenhaftung bemüht. Was ihr wie Minuten vorgekommen war, hatte in Wirklichkeit gerade einmal ein paar Sekunden gedauert. Mit einem dumpfen und seltsam losgelösten Gefühl schoss es ihr durch den Kopf, dass sie sich die Autonummer merken sollte, wenigstens zum Teil, doch der Wagen wies kein Nummernschild auf. Schließlich bekam der Fahrer das Auto unter Kontrolle, und er raste davon, dass die Reifen quietschten, als er rechts an der Ecke abbog und aus ihrem Blickfeld verschwand.
Diedra kam über die Straße gerannt. Sie rief noch immer ihren Namen, während sie eine Nummer in ihr Handy tippte. Ein Paar, das noch nicht aus dem Parkplatz der Kirche herausgefahren war, befand sich ein paar Meter hinter ihr. Das Paar hatte die Straße vor Jaclyn überquert und wollte schon wegfahren, doch als die Schüsse knallten, hatte der Mann angehalten und den Wagen wieder an den Straßenrand gefahren. Er und seine Frau hetzten jetzt auf sie zu. Überall im Block gingen die Lichter an, Türen wurden aufgerissen, und Leute liefen hinaus in die Nacht.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, brüllte der Mann, was ihr irgendwie seltsam vorkam, denn wie hätte sie antworten sollen, wenn nicht?
Ihre Lippen waren taub, doch mit einiger Mühe schaffte sie es schließlich, die Autotür zu öffnen und auszusteigen. Jede Bewegung fühlte sich an, als befände sie sich unter Wasser und müsste gegen eine starke Strömung ankämpfen. Aufgrund des Schocks jagten ihr kalte Schauer über die Haut. Mann, das war knapp gewesen!
Atlanta war eine Großstadt. Die Schießerei mochte Zufall sein. Oder man hatte sie mit jemandem verwechselt, was in Anbetracht ihres Jaguars allerdings unwahrscheinlich war. Sie hätte Opfer eines bösartigen Streichs oder einer Bandenmutprobe werden können.
Aber das glaubte sie nicht. Wer auch immer in diesem Auto gesessen hatte – diese Person hatte ihr aufgelauert; und sie hatte keine Ahnung, weshalb.
Erics Herz schlug noch immer wie wild, als er am Tatort eintraf. Als er den Anruf bekommen hatte, war er nackt aus dem Bett gesprungen, die Autoschlüssel praktisch schon in der einen Hand und die Waffe in der anderen; doch dann wurde ihm bewusst, dass er nichts anhatte. Fluchend machte er kehrt und flitzte zurück ins Schlafzimmer, um sich etwas überzuziehen – die nächstbesten Klamotten, die ihm in die Finger fielen, nämlich die Hose, die er am Tag zuvor angehabt hatte, und ein dunkelgraues T-Shirt, das er beim Sport getragen hatte. Unterwäsche kam ihm nicht in den Sinn, Socken auch nicht, und somit war er barfuß, aber zumindest
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