Feuerfrau
wusch man sich draußen, an einem Wasserlauf. Wer ein heißes Bad wollte, mußte auf die großen Städte warten, wo es Schwimmbäder oder öffentliche Badehäuser gab.
Wäsche und Kleider ließ man in Waschsalons waschen, während die Kostüme täglich gebürstet, ausgelüftet und geflickt wurden.
In der Mitte des Wohnwagens befand sich ein festgeschraubter, großer Tisch. Zwei gepolsterte Bänke ließen sich zu engen, ziemlich harten Betten aufrollen. Aber ich wußte, daß Amadeo auf dem Boden schlief, in einem Schlafsack. Sämtliche Wände waren mit Fotos bedeckt, die ausschließlich Pferde darstellten, auf der Weide oder in der Manege, beim Training oder während der Vorstellung. Amadeo fotografierte und entwickelte die Bilder selbst. Er hatte einen Freund in Lyon, der ihm sein Atelier zur Verfügung stellte. Ein schwarzweißes Bild, aus nächster Nähe aufgenommen, zeigte Pferde bei der Paarung. Es war eine phantastische Momentaufnahme. Man glaubte, die Kraft beider Tiere in langen Bewegungen wogen zu sehen. In ihnen spiegelte sich alle Gewalt und Macht dieser Erde, der Anfang und das Ende, ebenso wie die Unschuld, die Unversehrtheit und der Glanz der freien Natur. Martin starrte das Foto an, ohne ein Wort, in einer Art von faszinierter Mißbilligung.
Inzwischen wandte sich Lola mir zu, klein und muskulös. Ihre nachgezogenen Augenbrauen bildeten schwarze Bögen auf ihrer gepuderten Stirn. Zu ihrem buntbedruckten Rock trug sie eine viel zu große Männerjacke und abgenutzte Stiefel.
Ich nahm sie in die Arme, atmete den Dunst ihrer nassen Wollsachen ein, gemischt mit Tabakgeruch und dem süßlichen Duft ihres Puders. Sie puderte sich Hals und Ausschnitt, wie früher. Aber sie war spürbar gealtert: Ihre Lippen waren gekräuselt wie Seidenpapier, und rechts fehlten ihr etliche Zähne. Sie hob sich auf die Zehenspitzen, um mich zu küssen.
»Schön, daß du da bist, Pitchounette! Mein Herz singt wie ein Vogel in meiner Brust. Komm, laß dich ansehen!«
Sie trat um Armeslänge zurück, um mich zu betrachten. Sie gab mir immer noch den Kosenamen »Kleine«, obwohl sie selbst nicht größer war als ein Kind. Ihre Hände waren knochig und erstaunlich gelenkig.
»Du bist anders geworden«, stellte sie fest.
»Anders, wie?« fragte ich mit schwachem Lächeln.
»Du bist stark geworden. Du zeigst das, was du wirklich bist. Du sprichst zu der Erde. Andere spucken darauf.«
Eine Feder schien meinen Nacken zu streifen; ich fröstelte.
»Was willst du damit sagen, Lola?«
Ihre dünne Hand strich flüchtig über meine Wange.
»Nichts anderes als das, was du schon weißt, Pitchounette.«
Auch Eleni wurde von Lola umarmt und geküßt.
»Segen sei über dir, meine Tochter! Ich darf dich doch meine Tochter nennen? Nach all diesen Jahren! Machst du immer noch Musik wie die Engel? Er auch, sagst du? Ist das dein Mann?« Sie trat auf Jorge zu, nahm seine Hände und hielt sie fest, während sie ihn aus lebhaften Vogelaugen musterte. Schließlich nickte sie ein paarmal, mit dem schelmischen Ausdruck eines alten Clowns.
»Eleni war schon immer ein vernünftiges Mädchen. Offenbar hat sie eine gute Wahl getroffen.«
Jorge lachte herzlich.
»Ich gebe mir Mühe, daß sie diese Wahl nicht bereut.«
Zuletzt wandte sich Lola an Martin, der sich selbst mit höflicher Stimme vorstellte. Er benahm sich merkwürdig steif, als ob ein ganz besonderer Argwohn seine Stimmung dämpfte. Lola drehte den Kopf lebhaft und gerade so weit, daß ihr Blick Martin streifte. Dann glitten ihre Augen zu mir hinüber. Sie wirkte derart betroffen, daß ich lachen mußte.
»Nein, Lola! Wir sind nicht verheiratet.«
Lola wurde sofort wieder heiter.
»Ach, man soll die Kerze des Lebens an beiden Enden anzünden und brennen lassen, bis man klar sieht.«
Sie bewegte sich flink und geschickt in der kleinen Kochnische, setzte einen Kessel heißes Wasser auf, holte eine Dose Pulverkaffee aus dem Schrank.
»Zuerst mal Kaffee! Amadeo wird gleich dasein und auch einen brauchen. Es wird noch mindestens eine Stunde dauern, bis das Essen fertig ist.«
»Er hat den Wohnwagen gewechselt«, sagte ich.
»Er ist reich geworden«, Lola ließ das Lachen hören, das ich so liebte.
»Ich sagte ihm, er solle den Wagen nicht auswechseln, weil aus ihm die Stimmen der Menschen klingen, die er geliebt hat. Die Holzwände tragen die Spuren dieser Menschen, und sie gehören zu ihm. Aber er sagte, er liebe die Menschen nicht, er liebe nur die Pferde. Ja, so ist
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