Fey 06: Die Erben der Macht
einziges Mal gehoben. Er wußte also noch mehr.
»Und weiter?«
»Er hat das Leben deines Urenkels gerettet. Sie stehen sich sehr nahe. Und Gabe hat Coulters Aufenthaltsort immer vor den Versagern verborgen.«
»Gabe hat sie hier in Gefangenschaft gehalten.«
Ghost nickte. »Er wußte, daß der Zauberer das Gegengift kannte, und er hat nichts unternommen.«
Rugad ballte die Fäuste. Er hatte doch Gesehen, wie sein Urenkel die Fey nach Leutia führte. Deutlich Gesehen. Und doch hatte der Junge die Interessen der Insel verteidigt, nicht die der Fey.
Rätselhaft.
»Bist du dir da sicher?«
»Absolut«, entgegnete Geist. »Dieser Hüter, den ich übernommen habe, Streifer, hat den Zauberer entdeckt. Er hat auch versucht, Gabe davon zu überzeugen, daß er Coulter zurückbringt.«
»Und er hat sich geweigert?«
»Gabe behauptete, sie würden Coulter verletzen, und das würde er nicht zulassen.« Wieder leckte sich Ghost die Lippen. »Man muß zugeben, daß Streifer ebenfalls fürchtete, die geplanten Experimente der Hüter könnten den Zauberer das Leben kosten. Coulter war damals erst fünf Jahre alt.«
Rugad ballte die Fäuste und öffnete sie langsam. Solanda hatte ihn gewarnt. Gabe sei von Versagern erzogen worden, hatte sie gesagt. Sie setzte ihre Hoffnung nicht auf ihn.
Sie hatte die größten Hoffnungen auf seine Schwester gesetzt.
»Was geschah mit dem Zauberer?«
»Heute morgen war er noch am Leben«, antwortete Geist. »Streifer konnte ihn spüren. Aber da ich nur noch über einen schwachen Rest von Streifers Macht verfüge, kann ich dir nicht mehr sagen.«
»Schützt er Gabe?«
»Ist anzunehmen.«
Rugad nickte. Also war er diesem Zauberer bereits begegnet, jener wütenden Existenz, die die Verbindung unterbrochen und anschließend die Türen geschlossen und verriegelt hatte.
Ein mächtiger Zauberer. Auf der Insel geboren.
Rugad hatte immer vermutet, daß die Zauberer, die Boteen gespürt hatte, auf der Insel geborene Fey waren. Er hatte geglaubt, sie gemeinsam mit den Versagern ausgeschaltet zu haben.
Bei einem von ihnen hatte er sich geirrt.
Täuschte er sich auch in dem anderen?
22
Unruhig ging Nicholas im Gemach des Bauernaufstands auf und ab. Außer ihm befand sich hier nur noch Sebastian. Monte war verschwunden, um die Truppen innerhalb des Palastes anzuführen. Arianna war noch immer nicht zurück.
Aber daran wollte Nicholas jetzt gar nicht denken.
Die Sonne hatte an Kraft verloren. Aus der ganzen Stadt stieg Rauch auf und verdunkelte ihre Strahlen. Nur auf die Vögel unten im Hof schien sie noch hell.
Sebastian blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Der Junge sprach nicht viel, begriff aber, was vor sich ging.
Genau wie Nicholas. Der Augenblick, sich als wahrer Anführer zu beweisen, war gekommen. Gerade eben hatte er seine Männer in den Tod geschickt. Er wußte es, Monte wußte es, und Sebastian wußte es auch.
Und die Männer wahrscheinlich ebenfalls.
Aber Nicholas hatte mittlerweile gelernt, daß man ein Leben opfern mußte, wenn man hundert andere dadurch retten konnte.
Vorausgesetzt, dieses Leben war nicht von Schwarzem Blut. Irgendwie war es den Fey gelungen, sogar diese einfache Regel außer Kraft zu setzen. Nicholas’ Kinder, seine leiblichen Kinder, waren wichtiger als alle Menschen im Palast zusammengenommen.
Er fragte sich, ob Sebastian auch das begriff.
Er unterbrach sein nervöses Auf und Ab und blieb neben Sebastian stehen. Sebastian holte tief und langsam Luft.
»Wird … Ari … zurückkommen … können?«
Sebastian meinte damit, würde Arianna in der Lage sein, zurückzukommen, nachdem der Kampf begonnen hatte?
Konnte sie überhaupt noch hereinkommen? War sie hier in Sicherheit?
»Ich hoffe es«, erwiderte Nicholas.
Sebastian löste sich von der Wand und schob seinen Arm unter den von Nicholas. Gemeinsam gingen sie zu den Fenstern, um in den Hof zu blicken.
»So … viele«, stammelte Sebastian.
Nicholas nickte. So viele Vögel. Das Glas war nur ein dünner Schutz, die Höhe überhaupt keiner.
Vögel.
In Sekundenschnelle konnten sie sich zu den Fenstern des Nordturms aufschwingen und die Glasscheiben mühelos durchstoßen.
Plötzlich drückte Sebastian den Arm seines Vaters. Unten im Hof waren zwei Wachen aufgetaucht. Sie trugen keine Kopfbedeckung, und ihr blondes Haar glänzte in der Sonne wie gesponnenes Gold. Mit geraden Rücken und gestrafften Schultern durchquerten sie den Hof, ohne einen Blick auf die Vögel im Hof zu
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