Filmwissen
einem Kannibalen-Stamm gefangen, der ihn für die Krankheit verantwortlich macht, die die Menschen dezimiert. Kurzum: alle Tarzan-Filme dieser Zeit handeln vom Einbruch einer durch und durch schlechten Zivilisation in das Familienparadies von Tarzan und den seinen, die, anders als der freundlich barbarische Herr des Dschungels selbst, einen Rest von Verführbarkeit aufweisen. In Tarzan’s New York Adventure ( Tarzans Abenteuer in New York ; 1942, Regie: Richard Thorpe) wird diese Konstellation einmal auf den Kopf gestellt, ohne die zugrundeliegende Mythologie von paradiesischer Unschuld und korrupter Zivilisation zu ändern. Der Affenmensch kommt in die amerikanische Großstadt (den «Stein-Dschungel», wie er es nennt; zu den Autos sagt er «Häuser auf Rädern» – ein vergnügliches Spiel mit den Zivilisationsriten) auf der Suche nach dem entführten Boy. Mit diesem Film verabschiedete sich Maureen O’Sullivan vom Tarzan-Kosmos. Tarzan Triumphs ( Tarzan und die Nazis ; 1942, Regie: William Thiele) lässt deutsche Fallschirmspringer über dem Dschungel abspringen, die von Tarzan und seinen Tieren bekämpft werden. Erst rettet der Herr des Dschungels den deutschen Schmidt (Rex Williams), dann muss er feststellen, dass die deutschen Fallschirmspringer die Dschungelstadt Palandria besetzt haben. In den Film soll, so die Hollywood-Legende, das «Office of War Information» direkt eingegriffen haben, um eine Metapher für den Widerstandswillen nach Pearl Harbour zu schaffen.
Die Weissmuller/O’Sullivan-Tarzanfilme waren sicher in einer Zeit, die auch für die amerikanische Kulturgeschichte eher restriktiv verlief, Metaphern für die Verhältnisse von Geschlecht und Zivilisation, Körper und Moral. Ganz anders als bei Burroughs ist Tarzan hier nicht der ebenso feinsinnig gebildete wie in allen zivilisatorischen Techniken überlegene Lord, sondern der Mann in einem paradiesischen, unschuldigen Urzustand, der seine symbiotische Gemeinschaft mit der Natur noch nicht verloren hat. Es war die Geschichte der Befreiung der Frau durch den paradiesischen Mann und die Geschichte der Zivilisierung des Mannes durch die Frau, die nie so weit ging wie im um so vieles puritanischeren Genre des Western. Diese Bewegungen bestimmen auch den gelegentlich nicht unsubtilen erotischen Humor der Filme. In Tarzan, the Ape Man meint Jane zu Tarzan, der sie beim Baden beobachtet: «Du könntest wenigstens anklopfen, bevor du mein Boudoir betrittst», und an anderer Stelle betrachtet sie sinnierend seinen athletischen Körper: «Ich möchte wissen, wie du angezogen aussiehst!» Die Diskurse kreuzen sich; der Wilde und der Eroberer, der barbarische/paradiesische und der zivilisierte/kolonialistische Mann, die sich im Western bis zum Ende bekämpfen mussten, finden hier eine neue mythische Einheit.
1947 trat Johnny Weissmuller wieder in Tarzan and the Huntress ( Tarzan wird gejagt ; Regie: Kurt Neumann) auf: Eine Jagdgesellschaft wird von einem Dschungelvolk empfangen; während der Häuptling auf Tarzans Rat nur wenige Tiere zu jagen zulässt, verrät sein Neffe dieses Ansinnen. Brenda Joyce ist die Jane dieses Films.
Während die großen Tarzan-Filme bei MGM produziert wurden, entstand bei einer unabhängigen Gesellschaft ein neues Serial mit Hermann Brix in der Hauptrolle, das später auch zu zwei Kinofilmen ( Tarzan and the Green Goddess, New Adventures Of Tarzan / Tarzans neueste Abenteuer – 1. Der Herr der Wildnis – 2. Das Geheimnis der grünen Göttin ) zusammengefasst wurde, und der unermüdliche Serienheld Buster Crabbe übernahm die Rolle in Tarzan the Fearless (1933). Einschließlich eines Gastspiels, das der eher geistig minderbemittelte als kreatürlich-wild wirkende Glenn Morris in Tarzan’s Revenge ( Tarzans Rache ; 1937, Regie: D. Ross Ledermann) gab, erreichten alle diese Filme nicht die Ausstrahlung der Filme mit Johnny Weissmuller, der seinerseits in den Filmen, die ab 1943 unter der Ägide des Produzenten Sol Lesser entstanden, das Wesen des instinktgeprägten Tier-Menschen kaum noch glaubhaft machen konnte. Während Burroughs in seinen Erzählungen stetig die Unverlierbarkeit des individuellen Erbgutes demonstrieren wollte (aus eigener Kraft und den Umweltbedingungen zum Trotz entwickelt sich Tarzan zu dem, was er von Geburt ist, zum englischen Lord Greystoke, der sich als Autodidakt das Bildungsgut des Abendlandes aneignet, europäische Wert- und Verhaltensnormen wie von selbst entwickelt und schließlich über eine
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