Finne dich selbst!
gebe ich den Dolmetscher für beide Seiten. Ilse flüstert mir zu: »Die sieht aber flott aus!« Kaija sieht mich fragend an, und ich übersetze, Ilse habe gesagt, dass ihr das Gebäude schon von außen sehr gefallen habe.
Ob sie uns ein bisschen was zur Kirche sagen dürfe? Wir nehmen gerne an, und Kaija nimmt sich die Zeit für eine erstklassige Führung durch Aaltos Kreuzkirche. Ob deutsche Geistliche ihre Häuser wohl auch so freudig und spontan vorzeigen, wenn Finnen zu Besuch kommen?
Wir gehen durch den Vorraum in die eigentliche Kirche. Von links springt helles Licht in den Raum, eine große Glasfront öffnet das Gotteshaus quasi nach außen und für ein lichtdurchflutetes Innen. »Simple and light«, als einfach und hell beschreibt Kaija die architektonische Grundkomponente des Gebäudes.
»Unsere Kirche zu Hause ist ja ziemlich düster dagegen«, sagt Ilse.
Wir gehen zur Glasfront. Neben uns ein Tisch. Denke ich. Kaija deutet darauf: »Ein zweiter Altar. Wenn viele Menschen beim Gottesdienst sind, wird an zwei Stellen das Abendmahl ausgegeben.«
Ich staune. Ein Altar also, in skandinavisch-puristischem Design. Wir gehen durch diesen beeindruckend hellen und hohen Raum. Plötzlich setzt Orgelmusik ein. Organist Olavi Anttila probt. Und wir können die sensationelle Akustik genießen. Gut, dass wir ohne unseren Rockabilly Akseli unterwegs sind. Der wäre angesichts der Präludien geflohen. »Hier finden oft Konzerte statt, auch internationale«, erzählt Kaija.
Olavi unterbricht sein Spiel und kommt zu uns. Er schwärmt in höchsten Tönen von seinem Instrument mit den 52 Registern, vom gesamten Gebäude. »Much light! Viel Licht!« Und er schwärmt vom Architekten Aalto. »The best church he built. Ever.« Die beste Kirche, die Aalto je gebaut habe. Er sei leider noch vor der endgültigen Fertigstellung gestorben.
»Nirgends ein rechter Winkel«, stellt Hermann fachkundig fest.
»Einen Garten könntest du so jedenfalls nicht anlegen«, sagt Ilse.
Wir gehen hinter den Sitzreihen entlang. Ich bleibe überrascht stehen. Hinter einem Pfeiler stehen kleine Tische und Stühle, Papier, Stifte, Spiele, Spielzeug, Bücher. Ein Kinderspielplatz. In einer Kirche! Ich komme mir vor, als wäre ich auf eine neue Zivilisation gestoßen, bin überrascht und begeistert zugleich. Der Finne ist aber so was von kinderfreundlich, stelle ich fest. Ein Platz für die »Lütten«, eine Kinderecke, zum Malen, zum Spielen oder Lesen für die Zeit des Gottesdienstes.
»Hebt wie ock to Huuse in use Kerken«, flüstert mir Ilse zu.
Kaija zeigt uns eine kleine Nische mit einer Vitrine. Hier liegt, aufgeschlagen, ein Exemplar der ersten finnischen Bibel. Sie wurde 1642 in Stockholm gedruckt, in einer Auflage von 1200 Stück. Nur noch 100 Exemplare davon sind erhalten, sagt Kaija. Eine davon ist hier zu sehen, eine Schenkung an die Kreuzkirche in Lahti. Fast 370 Jahre alt. Ich staune. Jedes Fax ist nach drei Jahren verblichen.
Wir schauen zur Spitze des Tortenstücks. Der ganze Raum verjüngt sich zum Altar hin, zentriert den Blick und die Konzentration. Über dem Altar hängt ein schlichtes Holzkreuz. Nur das Kreuz. Es ist »leer«. Jesus sei schon aufgestiegen gen Himmel, interpretiert Kaija. Ein Pfeiler hält die Empore.
Diese Kirche wirkt nicht so distanziert, so kühl, so einschüchternd und steif wie unsere. Ein Gotteshaus »zum Anfassen«. Die Finnen scheinen viel mehr in und mit ihren Kirchen zu leben. Das ganze Gebäude scheint alltagsorientierter als die unseren. Wo der Evangele eigens ein »Gemeindehaus« errichtet, finden sich hier jede Menge funktionaler Nebenräume, wie Büros für Pastoren und den Organisten und ein begehbarer Kleiderschrank mit liturgischen Gewändern. Die Robe, die »Alba«, ist hier weiß, und man trägt darüber einen weiten wollenen Überwurf, wie einen Poncho, die
kassukka
, in Grün, Weiß, Rot oder Violett für die verschiedenen heiligen Tage. Das wirkt edel, aber auch farbenfroh, anders als das stete und triste Schwarz deutscher Geistlicher. Schon wieder ein Punkt für die Finnen.
Kaija führt uns weiter. Es gibt ein Kellergeschoss mit Krypta, mit Lese- und Diskussionssaal und einem regelrecht »weltlichen« Café mit Küche, dem
kahvio
. Mittwochs ist geöffnet, und die Werktätigen und Angestellten können in ihrer Mittagspause hier essen und dann an einem dreißigminütigen – das sind jetzt meine Worte – »Speed-Gottesdienst« teilnehmen, eine Predigt hören und das
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