Finne dich selbst!
Saunaführerin folgt mir solidarisch. Trotzdem wüsste ich gern, welch leidenden Blick sie den Finnen und welch mitleidigen die Finnen ihr angesichts dieses Opfers zuwerfen. Erst spülen wir die Bretter ab, und dann kommt etwas wirklich ganz, ganz Einzigartiges. Über einen Felsen steigen wir in das Wasser des Näsijärvi. Kühl, nass, erfrischend. Ich stecke den Kopf unter Wasser, tauche auf und sehe Susanne an, die mir zuzwinkert und mit kräftigen Stößen vorbeischwimmt.
»Na?«, fragt sie.
»Acht Kilo leichter!«, sage ich.
Vor Lachen schluckt sie beinahe Wasser. Ich schwimme hinter ihr her und weiß nicht, ob ich mich vielleicht nicht ernst genug genommen fühlen sollte.
Zweiter Saunagang. Und wenn auch nur für zwei Minuten, ich setze mich nach ganz oben. Der nächste Aufguss. Ich halte mir die Hände vor das Gesicht. Die Hitze umhüllt mich in Wellen. Ich bekomme keine Luft. Eine Minute und siebenundfünfzig Sekunden. Ich gehe wieder auf Stufe zwei. Ich bewundere die Kinder zwischen vier und sechs, die beständig reinkommen und rausgehen. Dann stößt mich Susanne an. Ich unterdrücke ein Lachen. Gegenüber nehmen zwei Herren Platz. Beide tragen Wollmützen. Bei 110 Grad. Wieder stößt mich Susanne an. Links von uns, direkt hinter der Tür, sitzen zwei Frauen, beim Reinkommen habe ich sie nicht bemerkt in meiner tiefen Konzentration, meiner Fixierung auf mein Ziel, die oberste Sitzbank zu erreichen. Die Blonde trägt eine Filz-, die Brünette eine Wollmütze. Ich schaue von der einen zur anderen und zurück. Ein Menschheitsrätsel will gelöst werden.
»Äh, darf ich was fragen?«
Sie nicken alle.
»Warum tragt ihr Mützen in der Sauna?«
Ich bekomme vier verschiedene Antworten. Die erste gibt die sehr blonde Frau mit der Filzmütze: »Weil sonst die Haare brechen! Durch die Trockenheit.« Fast hätte ich gelacht, aber wohl nur allein. Ich merke es früh genug. Ein Herr erklärt uns, dass der Kopf die Hitze mit Wollmütze besser vertrage. Es sei einfach nicht so heiß an der Kopfhaut. Der Kopf werde draußen im Winter zu kalt, wenn man sich abkühlen ginge, und wenn man die Mütze im Winter trage, könne man sie auch im Sommer aufbehalten, war die dritte Antwort. Dann kommt die vierte Erklärung von einem älteren, schmalen Mann: »Ich stamme aus Lappland. Wenn du bei uns nach der Sauna ohne Mütze in den See steigst, stechen dir die Mücken den Kopf kaputt!« Alle lachen, bestätigen aber die Geschichte. Eine fröhliche Runde, die ich leider wegen Hitzewallungen schon wieder verlassen muss.
Als ich aus dem Wasser heraussteige, entdecke ich ein Thermometer, eine Kreidetafel und daneben ein Schild. Auf die Tafel hat unsere Bademeisterin Sari geschrieben:
vesi
(Wasser) 24 °,
ilma
(Luft) 32 °. Es ist mittlerweile 18 Uhr!
Daneben das Schild mit drei Zeilen in drei Sprachen: »
Älä mene yksin avantoon!
« Darunter die deutsche Übersetzung: »Nie allein ins Wasserloch!« Außerdem auf Englisch: »Don’t swim allone in winter!« Und ich denke nur: Sehr wahrscheinlich sind die Sommer in Finnland zu kurz, als dass es sich lohnen würde, das Schild abzuhängen.
32 Grad.
Älä mene yksin avantoon
. Ich erhöhe noch mal um 78 Grad, denn das Saunathermometer zeigt 110 . Letzter Gang. »Und?«, fragt Susanne anschließend.
» 14 Kilo leichter«, sage ich.
Ich gehe, trocken und umgezogen, zur Bademeisterin. Nun fragt auch die: »Und?« Ich verstehe nicht gleich. Sie zeigt mir die Pappschachtel mit meiner Brieftasche und deutet auf die aufgemalte Drei. Mist. Drei auf Finnisch! Von hinten flüstert Susanne: »
Kolme
.«
»
Kolme!
«
»Vorgesagt!«, straft mich Sari und übergibt meine Papiere an Susanne. Wir gehen zum Auto. »
Kolme
«, sage ich noch mal und bekomme meine Brieftasche. »Okay«, sage ich, »ich zahle noch einen Kaffee für alle.« Wir versorgen uns am Kiosk und setzen uns zu meinen Eltern.
»Und?«, fragt mein Vater.
»Die haben tatsächlich Wollmützen auf!«
»Ich kann dir gerne auch eine stricken«, bietet mir Ilse an.
»Nee, lass man.«
Hermann schüttelt den Kopf: »Bei der Hitze auch noch Wollmützen? Die spinnen, die Finnen.«
Das Geheimnis der Musik
Es ist Mittwoch. Wir sind zurück in Lahti. Unser Tourguide Akseli hat einen ganz besonderen Programmpunkt für uns ausgesucht. Er schickt uns in das
Suomen Harmonikka Museo
, das Akkordeonmuseum in Sysmä. Tauno Ylönen steht freundlich lächelnd vor der Tür. Tauno ist schlank, hager regelrecht, etwa im gleichen Alter
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