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Finne dich selbst!

Finne dich selbst!

Titel: Finne dich selbst! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Gieseking
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bei einem Volk, das sonst alles tut, um in die Sauna zu kommen und aus allen Poren schwitzen zu können.
    Ich stelle mich wieder mit einem Bier an die Balustrade und sehe zu, wie meine Eltern sich elegant über die Tanzfläche schieben. Feurig regelrecht. Fast südeuropäisch. Perfekt integriert in diesem tanzenden Pulk ekstatischer Finnen. Manche ziehen hier unweigerlich meine Aufmerksamkeit auf sich. Da. Der lange Hagere dort. Er sieht aus wie eine exakte Kopie von Quentin Tarantino. Er tanzt mit staksigen Beinen, die er bei jedem Schritt extrem anhebt, was seiner ganzen Bewegung etwas hochgradig Storchiges gibt. Eine Tänzerin sieht aus wie meine Tante Hildegard, nur leichter, luftiger gekleidet, als ich Hildegard je sah. Tante Hildegard hier ist rothaarig und tanzt hingebungsvoll, dynamisch, und ich habe das Gefühl, sie dreht ihren Finnen und nicht er sie.
    Es gibt zwei Räume, jeder mit einer Tanzfläche, dazwischen ein Durchgang, eher ein Durch-Tanz. Dann gibt es noch eine Außentanzfläche, auch die ist den Finnen sehr wichtig. Sie wird in der Werbung extra benannt. Scheint ein Qualitätsmerkmal zu sein. Lautsprecher sind draußen montiert, und auch hier drehen einige Paare stoisch ihre Figuren.
    Axel hat uns erzählt, laut Internet sei von 21  Uhr bis 21  Uhr  30 Damenwahl. Es ist 20  Uhr  50 . Ich suche einen Ort, an den ich in dieser Zeit flüchten kann. Wo ich ungesehen bin. Vielleicht sollte ich schnell so viel trinken, dass es mir egal ist, wie ich tanze. Ich bin nervös! Gut, dass hier keine Blutdruckmessgeräte herumliegen. An der Längsseite der Haupttanzfläche führen drei Stufen empor. Auf diesen Stufen stehen Hunderte tanzwillige Finninnen. Und alle warten auf freie Männer. Vampire saugen Blut, Finninnen tanzen!
    Eine junge Frau, etwa Mitte  30 , ist meine heimliche Ballkönigin. Sie ist die Prinzessin. Ich hätte gern ein weißes Pferd, habe aber nur ein vor Angst durchgeschwitztes T-Shirt in Beige. Ich bin komplett durchnässt, ohne auch nur einen Schritt getan zu haben. Sie trägt ein weißes Kleid, und ich fühle mich in meinen staubigen Stiefeln wie der Schweinehirt im Märchen, und natürlich werde ich den ganzen Abend meine Prinzessin nicht anzusprechen wagen. Ich werde einen Tanzkurs machen, verspreche ich mir selber. Schließlich will ich Finnland nicht nur einmal besucht haben. Das ist mir jetzt schon klar. Trotz der bedrohlichen Situation.
    Erst mal weiter Fühlung aufnehmen mit allem. Ich hole Ilse einen Wein, Hermann Wasser und mir noch ein Bier. Vernünftige Eltern. Und immerhin über 70 . Ich trinke. Ich muss ja heute nicht fahren. Wir haben ja einen ganzen Bus.
    Sobald ein Finne oder eine Finnin den Raum betritt, tanzt er. Es gibt keine Aufwärmphase: ein schneller Blick, fragen – tanzen! Der Finne ist ab jetzt den Rest des Abends kaum zu halten. Über der Band hängen zwei Schilder. Eines leuchtet, das andere nicht.
Naisten haku
leuchtet,
miesten haku
nicht. Ich frage und erfahre eine grausame Wahrheit: Das ist die befürchtete Damenwahl. Die Schilder bedeuten Damenwahl und Herrenwahl. Grad also sind die Damen an der Reihe. Dianen auf Jagd. Auf den Stufen warten noch mindestens 50 bis 70  Frauen auf einen Partner, fast alle verfügbaren Männer werden bewegt. Ich fühle mich wie auf einem Treck im Wilden Westen, der von Indianern umzingelt ist. Ich bin der Eindringling, dies ist ihr Gebiet, dies ist ihr Land. Seit Jahrtausenden wohnen sie hier. Sie haben alles Recht, mit mir tanzen zu wollen. Ich flüchte erneut auf die Empore. Mein Puls beruhigt sich leicht. Hier oben bin ich allein. Über den Wolken. Ich beobachte. Ich interessiere mich für die Finnen.
    Da! Quentin, die Sau! Er tanzt mit meiner Prinzessin! Na, der traut sich was. Ihr gegenüber und mir gegenüber. Moment. Immer noch
naisten haku
. Das bedeutet: Sie hat
ihn
aufgefordert. Was findet meine Prinzessin an Quentin Tarantino? Da tanze ich dreimal besser! Ich würde dreimal besser tanzen, wenn ich mich trauen würde. Es ist wie auf dem Fünf-Meter-Brett. Je länger man steht, desto geringer wird die Chance, dass man überhaupt noch den Mut findet und springt.
    »Wutt du nich moal danzen?« Ilse steht neben mir. Willst du nicht mal tanzen? Ich schüttele den Kopf. Lieber inkognito bleiben. Eine Tarnkappe wäre jetzt ideal.
    Mein Vater grinst. »Was ist denn, Großer, traust du dich nicht?«
    »Reicht doch, wenn ein Sohn in Finnland verbandelt ist, oder?«
    Beide nicken schnell. Uff! Das war knapp! Ich tanze

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