Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
Rennen, ganz allein auf einer Steigung ohne gesponserten Zieleinlauf und Kampfrichter steht Mirko Colonna jetzt endlich vor dem Sieg.
Denn bisher hat er nie gewonnen, bisher war er nur als Erster angekommen. Jetzt aber triumphiert er und will immer so weitermachen, er will alle Rekorde brechen und seinen Namen in Farbe auf den Straßen der ganzen Welt geschrieben sehen. Er will auch einen Spitznamen, einen richtigen wie die Superchampions. Wie der Kannibale, wie El Diablo oder wie der Pirat. Am liebsten würde er sich Tyrannosaurus nennen lassen.
Er geht noch mal aus dem Sattel, er schwitzt und lacht, er spuckt und lacht. Das Gehirn und die Muskeln und jede Faser seines Körpers sagen ihm Es reicht, bitte, warum tust du uns das an? Und er macht noch mehr Druck, um klarzustellen, wer hier das Sagen hat. Er will oben am San Cataldo ankommen und sehen, ob Muglione von da oben ein bisschen weniger hässlich aussieht. Aber dieser Blick auf Muglione wird nur eine Sekunde dauern. Mirko wird keinen Fuß auf den Boden setzen, denn kaum ist er oben auf dem Gipfel, wird der Tyrannosaurus den höheren Gang einlegen und sich tief geduckt in die Abfahrt stürzen, auf eine andere Ebene zu und einem anderen Berg am Horizont entgegen und immer so weiter, ohne je anzuhalten.
Ja, phantastisch, ein Rennen ohne Ende. Mirko hat einmal gelesen, dass die Urmenschen zunächst Nomaden waren, die ständig umherzogen, bevor sie lernten, den Boden zu bestellen. Danach sind sie irgendwo geblieben und haben sich nicht mehr vom Fleck bewegt. Er weiß nicht, ob das stimmt oder ob das eine der Dummheiten ist, die in Büchern stehen, aber eines ist sicher: Wenn die Urmenschen statt der Landwirtschaft das Fahrrad erfunden hätten, hätten sie ihre Keulen geschultert, sich aufs Rad geschwungen und die Weltgeschichte im Nu durchlaufen, ohne je anzuhalten.
WIE PRACHTFINKEN AUF DEM JAHRMARKT
Eine Weile lag ich da und starrte an die Decke, in Gesellschaft der Würmer, die inzwischen meine Freunde sind. Vielleicht nicht richtige Freunde, eher gute Bekannte, die man ständig um sich hat, auch wenn sie einen nicht vom Hocker hauen. In gewisser Weise stehen mir diese Würmer also sehr nahe.
Ich höre ihnen zu, wie sie sich in ihren Kisten winden und versuchen, sich vom Boden ganz nach oben zu arbeiten. Die es geschafft haben, merken, dass es höher nicht geht, und geben auf, andere krabbeln über sie hinweg, und im Nu sind sie wieder unten, wo sie sofort vergessen, dass da oben gar nichts war, und gleich wieder anfangen, sich nach oben zu kämpfen.
Ich stelle mir vor, wie sie hier im Dunkeln wild durcheinanderwirbeln, gleichzeitig kreisen Tizianas Worte in meinem Kopf. Dinge, die sie zu mir gesagt hat, und alles mögliche andere Zeug, immer flüchtigere und absurdere Gedanken, Träumen immer ähnlicher, und alles fließt zusammen zu einem Strom, der mein Gehirn durchflutet und mich in den Schlaf hinüberträgt.
Ein Mittagsschläfchen ist etwas für alte Leute, eigentlich unendlich deprimierend, aber heute halte ich ein Nickerchen nach dem Essen für gar keine so schlechte Idee. Auch weil ich in letzter Zeit im Schnitt drei Stunden pro Nacht geschlafen habe. Einige der Dummheiten, die ich angestellt habe, könnte ich fast dieser Müdigkeit zuschreiben. O nein, ich bin nicht blöde, ich schlafe nur zu wenig. Klar doch, logo.
Aber bevor ich um drei den Laden aufmache, muss ich schnell noch zum Automaten an der Apotheke, um mir zwei Packungen Kondome zu holen. Wenn ich mir so ein Ding im richtigen Moment lässig überstreifen will, muss ich zu Hause ein wenig üben. Beim nächsten Mal will ich’s draufhaben, Tiziana soll sehen, wie routiniert ich bin. Meine Hand muss schneller werden, und mein kleiner Freund hier zwischen den Beinen darf sich ruhig ein bisschen mehr Zeit lassen.
Sofern es ein nächstes Mal geben wird. Denn nach allem, was sie mir im Büro gesagt hat, bin ich mir da nicht so sicher. Im Gegenteil, es könnte sogar sein, dass sie mich längst abserviert hat, aber so diskret, dass ich’s gar nicht gemerkt habe. Wie meine Großmutter Ines, die immer geholt wurde, wenn jemand eine Spritze brauchte: Man merkte gar nicht, wenn einem die Nadel in den Hintern stach. Aber wenn Tiziana mich wirklich nicht mehr wiedersehen will, wird es mir sehr wehtun, das ist dann doch ein Unterschied zu meiner Großmutter.
Was natürlich ein Segen ist, in mehr als einer Hinsicht.
»Ei…ore…af…« sind die ersten Laute, die an mein Ohr dringen, bevor sich in
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