Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
herum.
Zu spät. Sie haben euch gewittert. Sie kommen.
Keine Zeit, sich zu trennen; keine Zeit, sich eine glaubhafte Erklärung auszudenken.
»Vor uns sind Entfremdete. Mehr als zwei. Sie haben an der Straße gelauert, und jetzt kommen sie auf uns zu.« Strategie? »Haltet euch bereit.«
»Woher weißt du das?«, forschte Imme argwöhnisch.
»Laufen wir weg!« Melisma war gleichgültig, woher ich von den Entfremdeten wusste. In ihren weit aufgerissenen Augen stand die blanke Angst geschrieben.
»Nein. Sie werden uns einholen, und dann sind wir außer Atem. Und selbst wenn wir ihnen heute entkommen, müssten wir morgen an ihnen vorbei.« Ich ließ mein Bündel zu Boden fallen und stieß es mit dem Fuß von mir weg. Nichts darin war so kostbar wie mein Leben. Wenn wir sie besiegten, konnte ich es wieder aufheben; wenn nicht, hatte ich ohnehin keine Verwendung mehr dafür. Doch Imme, Melisma und Josh waren Musikanten, ihre Instrumente sicherten ihnen das tägliche Brot, und keiner von ihnen machte Anstalten, sich von seinem Packen zu trennen. Ich sparte mir die Mühe, sie dazu aufzufordern. Melisma und Imme nahmen instinktiv den alten Mann in ihre Mitte. Sie klammerten sich an ihre Wanderstäbe wie ein Schiffbrüchiger an die rettende Planke. Der meine lag mir griffig in der Hand, ich führte zur Probe einige Fechtschläge aus. Für einen Augenblick übernahm mein Körper das Denken.
»Cob, steh den Mädchen bei. Achte nicht auf mich. Pass nur auf, dass ihnen nichts geschieht«, bat Josh mich mit brüchiger Stimme.
Seine Worte drangen in mein Bewusstsein, und plötzlich durchflutete mich lähmendes Entsetzen. Meine eben noch gelösten Bewegungen wurden hölzern und ungelenk und alles, woran ich noch denken konnte, waren die Niederlage, Blut und Schmerzen. Mein Magen krampfte sich zusammen; die Knie wurden mir weich, und ich hatte keinen anderen Wunsch, als kehrtzumachen und Fersengeld zu geben, ohne Rücksicht auf den alten Mann und die beiden Mädchen. »Halt, warte«, wollte ich in den Tag hineinbrüllen. »Ich bin noch nicht bereit. Ich weiß nicht, ob ich kämpfen werde oder weglaufen oder einfach vor Angst in Ohnmacht fallen.« Aber die Zeit kennt keine Gnade. Sie kommen durchs Gebüsch, ließ Nachtauge mich wissen. Zwei voraus, einer hinterdrein. Der gehört mir.
Sei vorsichtig, warnte ich ihn. Ich hörte sie durch das Unterholz brechen und konnte sie riechen, noch bevor ich sie sah. Dann schrie plötzlich Melisma auf, die den Gegner erspäht hatte, und schon kamen sie zwischen den Bäumen hervorgestürmt. Entfremdete planten ihre Überfälle nicht und verabredeten kein gemeinsames Vorgehen. Ihre ganze Taktik bestand darin, sich auf den Gegner zu stürzen und ihn zu erschlagen. Sie waren beide größer als ich und allem Anschein nach von keinerlei Skrupeln geplagt. Ihre Kleidung war zwar schmutzig, aber noch in gutem Zustand, bestimmt führten sie noch nicht lange dieses Leben. Beide hielten Knüppel in der Hand. Mehr zu erkennen, dazu blieb mir keine Zeit.
Die Entfremdung machte die Menschen weder dumm noch schwerfällig, allerdings verloren sie die Fähigkeit, Gefühlsregungen anderer wahrzunehmen oder deren Wirkungen bei einem Gegner vorherzusehen. Deshalb erschienen ihre Handlungen auch oft so unbegreiflich. Sie befriedigten ihre Bedürfnisse mit der Unmittelbarkeit eines Tieres. Im Kampf zogen sie nicht an einem Strang. Sie waren keine verschworene Gemeinschaft. Ob sie sich wegen einer Bagatelle gegenseitig an die Kehle gingen oder gemeinsam über einen arglosen Wanderer herfielen, war oft nur eine Frage des Zufalls. Auch wenn sie sich zu Banden zusammenschlossen, kannten sie untereinander keinen wirklichen Zusammenhalt. Doch trotz allem legten sie eine grausame Schläue an den Tag, wenn es darum ging, sich etwas zu verschaffen, das sie haben wollten.
Ich wusste das alles, und deshalb war ich nicht weiter überrascht, als die beiden Entfremdeten versuchten, mich zu umgehen, um sich erst den schwächeren Gegner vorzunehmen. Was mich mehr überraschte, war die feige Erleichterung, die ich dabei empfand. Wie in meinen Alpträumen war ich wie gelähmt und ließ sie an mir vorbeilaufen.
Imme und Melisma setzten sich tapfer zur Wehr, aber so unbeholfen und ungeschickt, wie es zu erwarten war. Ohne Kampferfahrung und ohne jegliches Geschick, um nicht versehentlich sich gegenseitig oder Josh zu verletzen. Ihr Leben war die Musik, und nicht der Kampf. Josh stand zur Untätigkeit verurteilt zwischen ihnen;
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