Flammen der Rache
Zeitgenosse«, kommentierte sie scharf. »Was für ein Charmebolzen.«
»Ich schwöre bei Gott, dass er sich sonst nie so aufführt«, nahm Bruno ihn in Schutz. »Er muss angefangen haben, Speed zu rauchen. Sonst ist er die Sanftheit in Person.«
»Kannst du meine Halskette reparieren?« Eine kleine Hand zupfte ihn am Ärmel. Sie gehörte Rachel, die ihn mit bettelnden Augen ansah. »Sie ist kaputtgegangen!«
Bruno nahm sich des Problems der Kleinen an. Die beiden Plastikteile ließen sich mühelos wieder zusammenfügen, indem er Druck auf das Scharniergelenk ausübte, bis es einrastete. Er gab sie ihr. »Jetzt ist sie so gut wie neu.«
Sie legte die Kette um ihren Hals, drehte sich um und hielt ihm die Schließe hin. »Machst du sie mir zu?«, fragte sie und war sich der Ehre, die sie ihm erwies, voll dabei bewusst.
Bruno hakte die beiden Endstücke ineinander und wurde für seine Mühe mit einem strahlenden Lächeln belohnt. Rachel war wunderhübsch, trotzdem hatte er aus irgendeinem Grund ein mulmiges Gefühl. Es hing irgendwie mit der Kette und ihrem schlanken Hals zusammen. Er konnte nicht ganz den Finger darauf legen und wusste auch nicht, ob er es überhaupt wollte. Es konnte nichts Gutes bedeuten.
Fragmente einer alten Erinnerung huschten durch sein Bewusstsein. Der größte Teil davon blieb jedoch unter der Oberfläche, so wie dieser tödliche Eisberg, der zum Untergang der Titanic geführt hatte. Scheiß drauf. Die Magenschmerzen hatte er sowieso, also konnte er genauso gut nach dem Rest der Erinnerung graben. Zumindest würde er dann ein paar Informationen und nicht nur Bauchgrummeln haben. Hoffentlich. Erinnerungen waren schrecklich unzuverlässig und hinterlistig. Man durfte ihnen nicht trauen.
Bruno richtete den Blick nach innen und folgte dem Gefühl zurück zu seiner Quelle. Die Kette, die Schließe, Rachels Hals. Der Tag, an dem seine Mutter ihm ihre Kette gegeben hatte. Volltreffer. Das war die Quelle seines mulmigen Gefühls.
Es war derselbe Tag gewesen, an dem sie ihn in den Greyhound-Bus nach Portland gesetzt hatte. Es war später Abend gewesen, und sie waren mit einem Taxi durch die ganze Stadt gefahren. Bruno erinnerte sich, wie er den immer höher werdenden Betrag auf dem Taxameter beobachtet und sich gewundert hatte, wieso seine Mutter Geld zum Fenster rauswarf, als wären sie damit gesegnet. Sie schaute sich immer wieder besorgt um, als würden sie verfolgt, doch das war nicht der Fall. Es waren keine Scheinwerfer auf den nassen Straßen zu sehen, sondern nur Lichtpfützen von den Straßenlaternen.
Noch bevor er ahnte, was sie vorhatte, und sich mit Händen und Füßen dagegen wehren konnte, hatte sie ihm am Busbahnhof eine Fahrkarte gekauft und ihn zu seinem Bus gescheucht. Zum Abschied sagte sie ihm noch, dass sie Rudy – so wahr ihr Gott helfe – verlassen und sie bald frei sein würde, aber Bruno solle jetzt brav sein und tun, was sie sagte, denn zuerst müsse sie wissen, dass er in Sicherheit sei. Außerdem habe sie noch ein paar Dinge zu erledigen.
Was denn für Dinge?
, fragte er und hatte dabei so heftig geheult, dass ihm der Rotz aus der Nase lief.
Was zur Hölle hast du denn hier noch zu erledigen? Warum kommst du nicht einfach mit?
Lass diese vulgäre Sprache
, rügte sie ihn, als sie ihn zur Tür des Busses schob. Dann öffnete sie die Schließe ihrer Kette mit dem antiken Anhänger, die sie sonst nie abnahm, und legte sie ihm um. Sie war warm von ihrem Körper.
Bewahre sie für mich auf
, sagte sie und umarmte ihn von hinten, bis er glaubte, seine Rippen würden brechen. Der Busfahrer schnauzte ihn an, endlich einzusteigen. Magda gab dem Kerl Kontra, allerdings ohne ihr sonstiges Feuer. Dann schubste sie ihn die Stufen hoch in den süßlich-schal riechenden Bus.
Geh schon, du musst dich beeilen!
Reihe um Reihe starrten ihm die grotesk anmutenden Gesichter von Fremden entgegen, ihre Mienen feindselig bis gleichgültig.
Schaukelnd und schlingernd setzte sich der Bus in Bewegung. Bruno konnte den Blick nicht von Magdas ängstlichem, blassem Gesicht mit den dunklen, aufgerissenen Augen abwenden, das ihm von draußen nachstarrte. Dann verlor es sich in der Ferne. Es war das letzte Mal, dass er sie lebend gesehen hatte.
Er hatte die Kette von jener Minute an immer getragen, wie einen Talisman. Als seine Mutter gestorben war, hatte er schreckliche Angst davor gehabt, dass die Kette kalt werden könnte. Aus irgendeinem Grund hatte er sich in den Kopf gesetzt, dass es
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