Flammen der Rache
Rauschschwaden zusammen mit dem Heulen der Verdammten aufstiegen. Denn der Klippenrand war noch immer da. Es funktionierte nicht. Es gab keine Sicherheit.
Das hatte ihn bereits der Tod seiner Mutter gelehrt.
Bruno verdrängte den Gedanken, bevor er seine Klauen in seine Eingeweide schlagen konnte. Nein, er wollte Lily nicht in seine Wohnung bringen. Sie würde sich nicht von der Espressomaschine, der gut gefüllten Bar oder den toskanischen Fliesen beeindrucken lassen. Sie würde ihn mit ihren harten, blitzenden Augen ansehen und in ihm lesen wie in einem Buch. Wie sehr er sich anstrengte. Wie vergeblich seine Bemühungen waren.
Wenn überhaupt, würde er sie in Tonys Apartment bringen. Es gab so gut wie keinen überflüssigen Schnickschnack in der schäbigen Bude, die sein Onkel seit Eröffnung des Diners bewohnt hatte. Bruno hatte dort ebenfalls gehaust – von seinem zwölften Lebensjahr bis zu seinem Auszug.
Sid war endlich in die Gänge gekommen, und nun kreuzte verspätet und mit schlaftrunkenem Gesicht auch Leona auf. Bruno konnte es nicht erwarten, dass Rosa zurückkam und sich mit ihnen rumschlug. Sie waren schlimmer als ein Sack Flöhe. Er trat aus dem Hinterzimmer und schlüpfte in seine Bomberlederjacke. Lily stand auf und zog sich den formlosen, dünnen Stoffmantel an. Er war sackartig geschnitten, und die überbreiten Schultern hingen schlaff nach unten. Also wollte sie sich nicht jedem in ihrem Sexbomben-Outfit zeigen. Gut so.
Sie schloss den Gürtel des Mantels und ertappte ihn dabei, wie er sie angaffte. Ihre roten Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. Sein Gesicht begann zu glühen. Bei ihr schaffte er es nicht, cool zu bleiben. Seine Gelassenheit fiel einfach von ihm ab und wurde ersetzt durch Nervosität und Unsicherheit. Er fühlte sich dumm wie ein Esel.
Er hielt ihr die Tür auf, dann bot er ihr den Arm an, als sie ins Freie traten. Sie hakte sich unter. Der sensorische Stromstoß ihres Körperkontakts durchdrang sämtliche Stoff- und Lederschichten. Die Kälte war feucht und penetrant. Der von den Straßenlaternen orange getönte Nebel, der durch die Straßen waberte, dimmte die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos. Schweigend setzten sie sich in Bewegung, dabei zermarterte Bruno sich erfolglos das Hirn nach einem Gesprächsthema.
Lily brach das Schweigen als Erste. »Bestimmt halte ich dich davon ab, nach Hause zu gehen und zu schlafen.«
Er schnaubte. Ja, bestimmt. Er wusste nicht mal mehr, was Schlaf war. »In Wahrheit fängt mein Tag gerade erst an. Normalerweise würde ich jetzt heimfahren, schnell duschen und gleich danach erneut zur Arbeit aufbrechen.«
Sie warf ihm einen neugierigen Seitenblick zu. »Du hast einen Zweitjob?«
»Mein eigentlicher Job«, erklärte er. »Ich habe eine Firma, die Lenkdrachen und Lernspielzeug herstellt.« Er deutete ihre verwirrte Miene richtig. »Ja, ich weiß. Warum dann die Nachtschicht im Diner? Ich helfe nur aus, weil meine Tante Rosa nicht da ist. Ihr gehört der Laden, aber sie ist zur Zeit nicht in der Stadt, und wir leiden unter Personalmangel.« Er seufzte. »Darum muss ich einspringen. Der gute alte Bruno.«
»Ist das die Tante, die die Desserts macht?«, fragte Lily.
»Exakt. Sie hat mir alles beigebracht, was ich kann. Sie ist momentan in Seattle. Aber falls es noch sehr viel länger dauert, werde ich den Diner einfach schließen und zur Hölle damit.«
Ja, klar – mutige Worte. Tante Rosa schwelgte gerade in ihrer Ersatz-Großmutter-Rolle. Es half ihr dabei, die Lücke zu füllen, die der Tod ihres Bruders in ihrem Leben hinterlassen hatte, was es sehr schwer machte, sie zu kritisieren. Wer wollte sich ein Urteil über die Verarbeitungsmechanismen anderer anmaßen?
»Du musst schrecklich müde sein«, meinte sie.
Doch das war er nicht. Die Stelle, wo sich ihre Arme berührten, schien zu glühen und willkürlich Stromstöße durch seinen Körper zu jagen. Bruno konnte nur hoffen, dass er nicht anfangen würde, zu zucken und zu zappeln.
»Du bist nicht mehr sehr gesprächig«, kommentierte Lily. »Was ist los?«
Er unterdrückte ein Lachen, um nicht wie ein Irrer zu wirken. »Ich bin nervös«, gestand er mit völliger Aufrichtigkeit, weil sie darauf abzufahren schien. »Wenn ich so verkrampft bin, verschlägt es mir einfach die Sprache.«
»Ach so.« Die seitlichen Partien ihres Pagenkopfs schwangen nach vorn und verbargen für ein paar Momente ihr Gesicht. Dann wandte sie sich ihm wieder zu. »Du musst nicht
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