Flammen der Rache
nervös sein. Ich beiße nicht.«
Von wegen. Er war buchstäblich mit Zahnabdrücken übersät.
»Was kann ich tun, damit du dich entspannst?«, fragte sie.
Ihm eine verflixte Verschnaufpause gönnen. Er blieb so abrupt stehen, dass sie stolpernd seinen Arm umklammerte. »Ist das eine Falle?«, fragte er forsch.
»Nein, ich habe keine Hintergedanken …«
»Blödsinn. Du hast mich um völlige Ehrlichkeit gebeten. Was glaubst du, würde mich entspannen? Rate einfach mal ins Blaue hinein.«
Ihre hellen Augen wurden schmal. »Willst du damit vorschlagen, dass wir direkt zur Sache kommen?«
»Nein, das will ich nicht vorschlagen«, fauchte er. »Aber du hörst nicht auf, mir ein Schild an die Stirn zu kleben, auf dem ›geiler Bock‹ steht. Es mag ein Schock für dich sein, aber ich bin tatsächlich an dir als Mensch interessiert. Gleichzeitig habe ich einen Ständer. Unter normalen Umständen wäre der Ständer nicht relevant. Ich würde dich in ein Restaurant und ins Kino ausführen und mit dir durch den Rosengarten spazieren. Ich würde für dich kochen und dir einen Kuchen backen. Wir würden über Spiritualität, Politik und Essen plaudern. Ich würde vier oder fünf Verabredungen vergehen lassen, ohne dich auch nur zu küssen. Ich würde die Spannung steigern, bis du kurz vor der Explosion stündest.«
»Das klingt gut«, murmelte sie.
»Dumm gelaufen!«, bellte er. »Weil nichts davon passieren wird. Du schikanierst mich, seit du den Mund aufgemacht hast! Du bist diejenige, die verkrampft ist!«
»Wenn du meinst.« Ihr Haar verbarg ihr Gesicht. »Wahrscheinlich hast du recht.«
»Du platzt in dieser Aufmachung um vier Uhr morgens wie eine Granate in mein Leben und amüsierst dich damit, deine Spielchen mit mir zu treiben! Ich weiß nicht, wie ich mich dir gegenüber verhalten soll, und ich will diese Sache nicht vermasseln. Darum hilf mir aus der Bredouille. Was willst du von mir, Lily? Heraus damit! Lass mich nicht im Dunkeln tappen.«
Sie knabberte an ihrer Unterlippe, um sich ein Lächeln zu verkneifen. Verdammt sollte sie sein.
»In dieser Aufmachung?«, wiederholte sie. »Was sollte ich denn sonst anziehen?«
Sie trieb wieder ihr Spielchen mit ihm, aber er schnappte willig nach dem Köder. »Einen Pullover«, schlug er vor. »Jeans. Warme Socken, warme Schuhe, eine Mütze, einen Schal und einen dicken Daunenmantel. Und zusätzlich solltest du eine beheizte Wohnung mit einer verriegelten Tür tragen.«
Sie zitterte, darum löste er den Arm von ihrem und legte ihn ihr um die Schultern.
»Ich fürchte, mir ist ein bisschen kalt«, gestand sie.
Na gut, er würde es wagen. Im Namen der Ritterlichkeit.
»Sollen wir irgendwo reingehen?«
»Meinst du deine Wohnung?«
»Nein, die liegt mitten in der Stadt. Aber das Apartment meines Onkels ist direkt über dem Diner. Ich könnte dir eine Tasse Tee machen oder irgendetwas anderes.«
»Und dein Onkel?«, hakte sie nach. »Ich möchte ihn nicht stören.«
»Mein Onkel lebt nicht mehr«, erklärte er. »Er ist letztes Jahr gestorben.«
»Das tut mir sehr leid.«
Bruno wollte dieses Thema auf keinen Fall vertiefen, darum drückte er ihre Schultern und fragte: »Also? Willst du nach oben gehen?«
Lily nickte wortlos. Er wartete auf mehr, darauf, dass sie eine spitze Bemerkung machte oder dass sie ihre Meinung änderte und ihn einfach stehen ließ.
Doch das tat sie nicht. In scheues Schweigen gehüllt gingen sie denselben Weg zurück, den sie gekommen waren, dann bogen sie in die Seitenstraße ab, die hinter das Diner führte.
Bruno fühlte sich für einen Moment unbehaglich, als er sie die schäbige Treppe hinaufführte, vorbei an zerschrammten Türen, die dringend einen neuen Anstrich benötigten. Das ganze Gebäude war ein Rattenloch, und Tonys Apartment bildete da keine Ausnahme.
Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Bruno schloss die Tür auf und ging Lily voran in die Wohnung, die karg war wie eine Mönchszelle, nur nicht so ansprechend. Tony war der ultimative Minimalist gewesen. Von der Decke baumelte eine nackte Glühbirne. An der Wand hingen ein Kruzifix, ein Farbfoto von Tonys betagten, grimmig dreinblickenden Eltern und ein verblichenes, sepiagetöntes Foto seines ebenfalls mürrisch wirkenden Großvaters im schwarzen Anzug. Dann gab es noch ein durchgesessenes kariertes Sofa, einen ramponierten Beistelltisch und einen uralten Fernseher. Der Aschenbecher war noch immer randvoll mit Tonys Zigarettenkippen. Der Anblick versetzte ihm einen
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