Flederzeit - Riss in der Gegenwart (Historischer Roman): 2 (German Edition)
darüber hinweg war?
Im ersten Augenblick war es pures Erstaunen, das Matthias innehalten ließ. Ich habe nicht an Elias gedacht.
Er blinzelte. Rieb sich die Augen. War das wahr? Blinzelte noch einmal, als könnte er so das Bild seines kleinen Sohnes, das er doch in jeder einzelnen Sekunde vor Augen gehabt hatte, zurück auf seine Netzhaut beschwören.
'Mattich', schob sich prompt ein anderer kleiner Junge davor. Der in seinem Traum eben nicht vorgekommen war. Weil er zu dem Zeitpunkt noch nicht existiert hatte. Ihn sah Matthias aber sehr wohl vor sich. Ausgerechnet, wie er gerade in wildem Trotz um sich schlug, während Mila ihn auf ihrem Arm festhielt. 'Hanhan Honich ham!'
Matthias' liebevolles Lächeln für Ilya gefror in seinem Gesicht. Womit wir wieder bei Fausts Pudelkern wären. Hanhan. Johann.
Um nichts anderes ging es hier. Darum nämlich, dass seine geliebte Frau sich einem Anderen zugewandt hatte. Und darum, was er, Matthias, noch immer für Lida empfand. Die ich auf unwiderstehliche Weise in meine Geschichte hineingeschrieben habe, sodass ich sie nicht mehr loswerde ...
Durfte er sie überhaupt loswerden wollen, wenn er jetzt die Fortsetzung dieser Geschichte schreiben sollte?
Will ich dafür Nacht für Nacht von ihr heimgesucht werden? Gequält? Verrückt gemacht? Denn wozu, als sich selbst zu quälen, sollte er sich in irgendeiner Weise mit dem Beginn von Milas und Johanns ... Affaire beschäftigen?
Mit einem Ruck schwang er sich aus dem Bett. Im ersten Moment tanzten Sternchen vor seinen Augen, er musste seinen Kreislauf in Schwung bringen – und am besten auch gleich eine Kopfschmerztablette einwerfen. Denn er hatte eine Entscheidung zu treffen: War er bereit, für eine Karriere als Schriftsteller einen derart hohen Preis zu zahlen?
Musste er das denn? Könnte er nicht irgendwie anders versuchen – ja, was? Der Phantasien um Lida Herr zu werden?
Bei dieser Formulierung überlief es ihn schon wieder eiskalt, und Johanns spöttisches Lachen ließ seine Nackenhaare sich aufstellen. Wenn er es noch nicht mal mittels seiner Phantasie schaffte, Mila aus Johanns Armen für sich zu gewinnen – wie sollte er dann in der Realität ...? Wo er nicht die geringste Chance hatte gegen Iven, dem es ebenso wie seinem Doppelgänger in Matthias' Geschichte im Blut lag, Herr über alles Mögliche zu sein?
Gebeutelt aufseufzend schob sich Matthias die Tablette in den Mund, lief ins Bad, ließ Wasser in den Zahnputzbecher laufen. Johann, Iven, Johann, Iven. Matthias schluckte trocken, um dieses dämliche Wortspiel loszuwerden, bevor er endlich in der Lage war, das Wasser hinunterzustürzen. Bitter! Er schüttelte sich.
Nie würde er Ivens Frau zurückerobern können. Aber es lag sehr wohl im Bereich seiner Möglichkeiten, mit Lida in Kontakt zu treten. Sie zu sehen – und sich dem zu stellen, was dann in ihm ablaufen würde.
Wie diese Therapie bei Phobien , dachte er mit grimmigem Grinsen hinauf zur mindestens scheintoten Hausspinne in ihrem angestaubten Netz über der Dusche, die seinen Großputz offenbar überlebt hatte. Wo die Patienten sich ein Bild einer riesig vergrößerten Spinne an die Wand hängen mussten.
Seine geliebte Lida mit einer Spinne zu vergleichen! Matthias schnaubte verächtlich und beobachtete die Reaktion der echten Spinne, als er das Wasser aufdrehte. Keine nämlich. Vermutlich war sie in der Tat schon gestorben.
Die Idee der Lida-Konfrontationstherapie allerdings – die war wirklich nicht schlecht. Zumal er sie ja sowieso auch noch darüber informieren musste, dass sie ziemlich drastisch eins zu eins in seinem Buch vorkam.
Die heiße Dusche verhinderte, dass er den innerlichen Hitzeschwall wirklich fühlen konnte. Lidas Rolle in der Flederzeit warf ein mehr als zweideutiges Licht auf Matthias' Zustand, was sie betraf. Wie würde sie darüber denken? Mitleidig? Würde sie ihn verachten?
Er knurrte in das Wasser auf seinem Gesicht. Oh – noch viel, viel schlimmer – an Iven in diesem Zusammenhang konnte er nicht einmal denken, ohne das große Würgen zu bekommen. Er drehte sich, sodass der warme Wasserstrahl seinen Nacken massierte.
Stellen musste er sich dieser Sache so oder so. Und wahrscheinlich würde er sich Lida schlicht öffnen müssen – damit sie dafür sorgte, dass Iven irgendwie aus allem herausgehalten wurde.
Er griff zum Shampoo und ließ einen viel zu großen Klacks auf sein Haar tropfen. Vielleicht jedoch war genau das der Weg, nach dieser Konfrontation
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