Flucht aus dem Harem
Goldring mit einem Smaragd entgegen. Sie hatte osmanisch gesprochen, aber der Kapitän verstand die Bedeutung ihrer Worte auch ohne dass Justin sie übersetzen musste
Harris sah zuerst die Frau an, dann den Ring. Langsam streckte er die Finger danach aus. „Ich denke doch“, murmelte er und ließ das Schmuckstück in seine Tasche gleiten.
Justin, der sich seltsam überflüssig vorkam in Anbetracht der Tatsache, dass Leila die Situation einfach an sich gerissen hatte, sah sich nun genötigt, Harris’ Arm festzuhalten. „Leila ist meine Begleiterin für die Dauer der Reise. Sie wird nicht oft an Deck kommen, aber wenn sie es tut, dann bestehe ich darauf, dass Ihre Männer sie mit demselben Respekt behandeln, den man mir entgegenbringt, Kapitän.“
Das Gesicht des Kapitäns zeigte keine Regung. „Wie Sie wünschen, Mr. Grenville.“ Mit diesen Worten befreite er sich aus Justins Griff und ging mit auf dem Rücken verschränkten Händen davon. In einiger Entfernung spuckte er auf die Planken, um seine Meinung zu der Sache kundzutun.
Justin fühlte, wie Zorn in ihm hochstieg.
„Ich brauche Zitronen“, sagte Leila neben ihm. „Und einen Schwamm. Außerdem ein scharfes Messer.“
Erstaunt wandte sich Justin ihr zu. „Wozu?“
„Um nicht mit einem Bastard im Leib in London anzukommen.“ Ihre Stimme klang so unbeteiligt, als redete sie über die in weiter Ferne kaum mehr erkennbare Küste. Und sie sah ihn an, als müsse er wissen, wovon sie sprach. Aber natürlich hatte er nicht den blassesten Schimmer.
„Ich werde zum Smutje gehen und sehen, was er in seiner Kombüse vorrätig hat“, entgegnete er dessen ungeachtet im Tonfall eines Mannes von Welt. Kaum, dass er einen Schritt getan hatte, hörte er sie sagen: „Wenn er keine Zitronen hat, dann nimm eine Phiole Essig. Es erfüllt denselben Zweck, aber ich mag den Geruch nicht.“ Unbewusst zog er den Kopf zwischen die Schultern und ging weiter. Das Rätsel würde sich lösen, davon war er überzeugt. Er war nur nicht sicher, ob er die Antwort wirklich wissen wollte.
Leila blickte ihm nach. Im Halbdunkel der Kabine hatte sie ihn nicht richtig sehen können. Dennoch hatte sie mit ihrer Einschätzung richtig gelegen: Er war - wenn überhaupt – nur wenig älter als sie selbst. Was tat ein junger Mann ohne Begleitung in diesem Winkel der Welt? War er Kaufmann? Ein Diplomat? Ein Lehrer? Oder gar ein Künstler, der mit seinen Werken die Paläste der Paschas und Kalifen ausstattete?
Sie seufzte. Nicht, dass es wichtig wäre. Wichtig war allein, ihn halbwegs bei Laune zu halten und dabei die Situation zu beherrschen – ohne, dass er es merkte.
Ein Seemann hastete an ihr vorbei zum Bug des Schiffes und sie wich unwillkürlich an die Reling zurück. Der Himmel erschien ihr blauer als im Garten des Harems. Keine Wolke trübte seine Klarheit. Wenn sie den Kopf in den Nacken legte, bestand ihre ganze Welt aus tiefem Azurblau.
Sie hoffte, dass die Sache mit den Zitronen funktionierte. Jamilah hatte sie zwar darin unterwiesen, aber vor die Wahl gestellt, hatte sie immer den Trank bevorzugt, der eine Empfängnis verhinderte. Allerdings blieb ihr dieses Mal keine Wahl.
„Wird das reichen?“
Leila senkte den Kopf. Justin stand vor ihr. Er hatte seinen Kaftan wie eine Schürze an zwei Stellen hochgehoben. Darin lag ein halbes Dutzend faustgroßer, goldgelber Zitronen, ein Stück Schwamm und ein kleines Messer.
„Fürs Erste, ja“, erwiderte Leila nur. Sie wollte noch nicht zurück in die Kabine gehen, aber es gab auch keinen Grund hier zu bleiben. Sie schaute ihn abwartend an. Seine Augen besaßen die Farbe von Moos, wie es an den schattigen Stellen des Palastgartens wuchs. Die sandfarbenen Wimpern zauberten goldene Lichter in das satte Grün. Er sah so ungewohnt und exotisch aus, dass es ihr schwer fiel, den Blick abzuwenden.
„Ich bringe das alles in die Kabine“, sagte er. „Der Smutje lässt uns das Abendessen ebenfalls dorthin bringen. Es scheint, dass wir die Ehre verspielt haben, am Tisch des Kapitäns zu speisen.“
Er lächelte, und dieses Lächeln strich zart wie eine Feder über die Innenseite ihrer Stirn. Sie schluckte. Sie wollte das nicht. Sie wollte nicht, dass er sie berührte oder ihr nahe kam, auf welcher Ebene auch immer.
„Ich bleibe noch ein bisschen an Deck“, murmelte sie und wandte sich ab. Es fiel ihr schwer, ihre Gedanken und Gefühle in Einklang zu bringen. Noch nie hatte sie sich von einem Menschen angezogen gefühlt, ganz zu schweigen von
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