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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Lippen waren aufgedunsen und schlaff, sein Mund zitterte. Aber er weinte lautlos, schluchzte nicht, wimmerte nicht; seine Stimme war ihm in der Kehle steckengeblieben.
    »Ist ja gut«, meinte Tony. »Alles o. k. Du brauchst Wilma nicht. Bist besser dran ohne sie. Du hast Freunde. Wir helfen dir, darüber wegzukommen, Frank, wenn du uns nur läßt. Ich werde dir helfen. Das ist mir verdammt wichtig, ehrlich, Frank.« Frank schloß die Augen. Der Mund sackte ihm herunter, und er schluchzte, aber immer noch mit dieser unheimlichen Lautlosigkeit; nur wenn er pfeifend den Atem einsog, war ein Geräusch zu vernehmen. Er streckte die Hände aus, suchte Unterstützung, und Tony legte seinen Arm um ihn. »Will heimgeh'n«, lallte Frank undeutlich. »Will bloß heim.« »Schon gut. Ich bring' dich nach Hause. Halt' dich fest.« Wie zwei alte Kriegskameraden, jeder dem anderen den Arm über die Schultern gelegt, wankten sie hinaus. Sie gingen die zweieinhalb Häuserblocks zu dem Gebäude, in dem sich Tonys Apartment befand, und stiegen dort in Tonys Jeep. Sie hatten die Hälfte des Weges zu Franks Wohnung zurückgelegt, als Frank tief Atem holte und meinte: »Tony ... ich habe Angst.«
    Tony warf ihm einen Blick zu.
    Frank war auf seinem Sitz zusammengesunken. Er wirkte klein und schwach; als versinke er in seinen Kleidern. Tränen glitzerten auf seinem Gesicht. »Wovor hast du Angst?« fragte Tony.
    »Ich will nich' allein sein«, stammelte Frank weinend und zitterte unter der Nachwirkung des Alkohols, zitterte aber auch wegen etwas anderem – einer dunklen Furcht. »Du bist nicht allein«, meinte Tony. »Ich hab' Angst ... allein zu sterben.« »Du bist nicht allein und du stirbst nicht, Frank.« »Wir werd'n alle so alt ... so schnell. Und dann ... dann möcht' ich, daß jemand da ist.« »Du wirst jemanden finden.«
    »Ich möcht', daß jemand sich erinnert, daß ich ihm wichtig bin.«
    »Keine Sorge«, erklärt Tony lahm. »Es macht mir angst.« »Du wirst jemanden finden.« »Niemals.«
    »Doch. Das wirst du.«
    »Niemals ... niemals«, haspelte Frank, schloß die Augen und lehnte den Kopf gegen das Seitenfenster. Als sie sein Apartmenthaus erreichten, schlief er seelig wie ein Kind. Tony versuchte ihn zu wecken, aber Frank wollte nicht zu sich kommen. Stolpernd, vor sich hinmurmelnd und schwer seufzend ließ er sich zur Tür seiner Wohnung mehr schleppen als führen. Tony lehnte ihn neben der Haustür gegen die Mauer, stützte ihn mit einer Hand, durchsuchte seine Taschen und fand schließlich den Schlüssel. Als sie in seinem Schlafzimmer anlangten, brach Frank auf dem Bett zusammen und fing zu schnarchen an.
    Tony zog ihn bis auf die Unterhosen aus, schlug die Decke zurück, rollte Frank auf das Bett und zog ihm die Decke bis ans Kinn. Frank schnarchte unbeirrt weiter. In der Küche fand Tony in einer Schublade neben dem Ausguß einen Block und eine Rolle Klebeband. Er schrieb einen Zettel für Frank und klebte ihn an die Kühlschranktür.
    Lieber Frank,
    wenn Du morgen aufwachst, wirst Du Dich an alles erinnern was Du mir erzählt hast, und es wird Dir wahrscheinlich etwas peinlich sein. Aber keine Sorge. Was Du mir gesagt hast, bleibt unter uns. Morgen werde ich Dich in meine tiefsten Geheimnisse einweihen, und dann sind wir wieder quitt. Schließlich sind Freunde dazu da, daß man ihnen einmal das Herz ausschüttet.
    Tony
     Er sperrte die Tür beim Hinausgehen vorher ab. Beim Nachhausefahren dachte er über den armen Frank nach, der ganz allein stand, doch dann wurde ihm bewußt, daß seine eigene Situation gar nicht wesentlich besser schien. Sein Vater lebte noch, aber Carlo war recht oft krank und würde wahrscheinlich höchstens noch fünf Jahre haben, allerhöchstens zehn.
     
    Und Tonys Brüder und Schwestern lebten übers ganze Land verstreut; keiner von ihnen stand ihm besonders nahe. Er besaß eine Menge Freunde, aber im Alter, im Sterben liegend, wollte man nicht nur Freunde um sich haben. Er wußte, was Frank meinte. Auf dem Totenbett wollte man nur ganz bestimmte Hände halten, nur sie würden einem Mut geben: die Hände des Ehepartners, der eigenen Kinder oder der Eltern. Er erkannte, daß er gerade dabei war, jene Art von Leben aufzubauen, das am Ende womöglich ein leerer Tempel der Einsamkeit sein könnte. Tony war fünfunddreißig, noch jung, hatte aber nie ernsthaft ans Heiraten gedacht. Plötzlich hatte er das Gefühl, daß die Zeit ihm zwischen den Fingern zerrann. Die Jahre verstrichen schnell.

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