Flut
BONOBO, und über dem Anbau mit den französischen Fenstern CAFÉ DO BONOBO. Er klettert aus dem Käfer, schrammt sich dabei den Unterarm an einer verrosteten Kante auf und überlegt, wie lange seine letzte Tetanusimpfung zurückliegt.
Bonobo öffnet die Tür und fordert sie auf, sich wie zu Hause zu fühlen, allerdings nicht ganz so laut zu sein, da in einem der oberen Zimmer ein Paar untergebracht sei. Vom gemütlichen Eingangsbereich um die Rezeption hat man Zugang zur Küche, zu einem Zimmer, das morgens als Frühstücksraumfür die Gäste dient, und einem anderen, an dessen Tür ein Holzschild mit der Aufschrift BONOBOS ZIMMER hängt. Es dauert nicht lange, bis Bonobo und Ju dort verschwinden. Ju ist aus Brasilia und hat große Brüste, das ist auch schon alles, was er von ihr weiß.
Also bleibt er mit Liz im Eingangsbereich, er auf einem kleinen bequemen Sofa und sie auf dem Sessel daneben. Liz stammt aus Garopaba, hat sich vor Kurzem blonde Strähnchen in ihre braunen Haare machen lassen, ist athletisch gebaut und sieht etwas männlich aus. Zwischen ihnen funkt es absolut nicht. Sie sitzen müde da und unterhalten sich unaufgeregt, während im Hintergrund leise Reggaemusik läuft, die Bonobo noch aufgelegt hat. Es sind Stücke über die Schönheit des Augenblicks, den Wert der Freiheit, die Notwendigkeit des Bewusstseins, über Sterne, Liebe und das Meer. Liz heißt eigentlich Elizete und hasst ihren Namen. Sie erzählt, dass es in Garopaba eine ganze Generation von Mädchen in ihrem Alter gebe, deren Namen auf ete enden, so wie die Namen ihrer Mütter und Großmütter auf ina endeten, was viel natürlicher und liebevoller klinge, zum Beispiel Delfina, Jovina, Celina, Ondina, Etelvina, Clarina, Angelina, Antonina, Vivina, Santina oder auch die bekannteren wie Carolina oder Regina, aber jetzt sei offenbar die Zeit der Elizetes, Claudetes und Marizetes, was dagegen irgendwie räudig klinge, sagt sie. Warum ist das so? Wenn ich mal eine Tochter habe, soll sie Marina oder Sabrina oder Florentina heißen, oder was meinst du? Er meint, sie habe recht. Ihre Stimme klingt weich und hat dieses Zischen, dass er auch bei anderen Einheimischen bemerkt hat, bei Dona Cecina etwa. Als die Musik zu Ende ist, horchen sie in die stille Nacht und auf den Wind, der mit Unterbrechungen durch die Bäume und den Bambus rauscht. Aus Bonobos Zimmer kommen gelegentliche Gesprächsfetzen. Beta ist auf einem Strickteppich eingeschlafen. Liz will etwas über ihn erfahren, und er erzählt vom Schwimmen, vom Triathlon, der Teilnahme an der Weltmeisterschaft aufHawaii letztes Jahr, und sie scheint nur halbwegs, aber immer noch genügend interessiert. Es fühlt sich fast an, als wären sie gute Freunde und würden noch ein bisschen plaudern, bevor sie zusammen einschlafen. Ich bin nicht entsprechend gebaut, um wirklich etwas erreichen zu können, sagt er. Meine Füße sind zu klein. Liz murmelt irgendetwas, damit er weiß, dass sie ihm zuhört, also redet er weiter. Die Zeit vergeht in einem Rhythmus, in dem sie immer vergehen sollte, denkt er. Eine Gemächlichkeit, die im Einklang mit seinem inneren Tempo ist. Sie hören Ju kurz stöhnen, dann wie das Bett gegen die Wand oder auf den Boden schlägt, gefolgt von einem längeren Stöhnen. Das Ganze dauert Minuten. Sie versucht, das Stöhnen zu unterdrücken, vergeblich. Schließlich geht die Tür auf, und Ju kommt vollkommen aufgeräumt heraus und sagt zu ihrer Freundin, sie wolle jetzt los, sie müsse am nächsten Morgen früh raus. Der Motor des Parati springt an, die Mädchen drehen das Radio auf, elektronische Beats, die langsam in der Nacht verklingen.
Bonobo kommt mit zwei Flaschen Heineken aus der Küche und möchte auf den Frieden aller Wesen anstoßen. Die grünen Flaschenhälse schlagen gegeneinander.
Ist das nicht so ein buddhistischer Spruch?
Ja, ich bin Buddhist.
Er lacht.
Was gibt’s da zu lachen?
Du machst nicht den Eindruck, als wärst du Buddhist.
So, was macht denn ein Buddhist für einen Eindruck?
Weiß nicht, aber du wirkst nicht wie einer.
Red keinen Scheiß.
Muss man da nicht ein Keuschheitsgelübde ablegen und darf keinen Alkohol mehr trinken und so?
Das stimmt so nicht.
Bonobo erzählt, er sei Ende der neunziger Jahre mit dem Buddhismus in Berührung gekommen, als er im Internet mit einem Mädchen aus Curitiba flirtete, die bei den Buddhisten war. Begriffe wie Mitgefühl, Entsagung und Vergänglichkeit waren ihm neu. Von Anfang an ergab alles einen Sinn.
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