Flut
ermordet. Ich glaube, man hat ihn auch hier beerdigt, da bin ich mir aber nicht sicher. Er wurde der Gaúcho genannt.
Der Gaúcho.
Genau.
Und er wurde hier ermordet.
Offenbar ja.
Wann genau soll das gewesen sein?
Neunundsechzig.
Neunzehnhundertneunundsechzig?
Richtig.
Der Polizist sieht ihn ausdruckslos an.
Ich würde gern wissen, ob es eine polizeiliche Akte dazu gibt. Irgendeine Art von Bericht. Der Kommissar damals kam offenbar aus Laguna.
Aus Laguna?
Genau.
Der Gaúcho.
Richtig.
Und was genau machen Sie jetzt hier?
Wie bitte?
Sie sagten, Sie seien vor Kurzem hergezogen. Warum das?
Der Polizist sitzt zurückgelehnt in seinem Stuhl, aber seine Arme sind so lang, dass sie bis an den Tisch reichen. Er hält die Hände locker, aber leicht verdreht, wie ein Arthritiker.
Aus keinem besonderen Grund. Ich wollte am Strand wohnen. Ich bin Schwimm- und Lauftrainer. Aber was hat das damit zu tun?
Damals hatte Garopaba keine eigene Wache, sagt der Polizist. Sollte es einen Bericht dazu geben, dann liegt der wahrscheinlich in Laguna. Aber das bezweifle ich. Ist immerhin ganz schön lange her. Ich bin hier geboren, meine Eltern, meine Großeltern und Urgroßeltern sind von hier, und ich hab nie etwas davon gehört. Die Leute erinnern sich an jeden, der stirbt.
Ich hab mit ein paar älteren Bewohnern gesprochen.
Ich weiß.
Das wissen Sie?
Ja. Das weiß ich.
Also gut. Es gibt ein paar Leute, die sich an meinen Großvater erinnern. Aber niemand erinnert sich an seinen Tod.
Wenn sich niemand erinnert, ist es vielleicht gar nicht passiert.
Ich will es aber genau wissen.
Die krummen Pranken des Polizisten erwachen zum Leben. Seine Finger strecken und verschränken sich. Er senkt ein wenig den Kopf und richtet den Blick auf ihn.
Hier werden Sie nichts finden. Vielleicht in Laguna.
Von draußen ist Geschrei zu hören. Der Polizist sieht sich widerwillig um. Zwei Kollegen zerren einen jungen Kerl in Handschellen herein, gefolgt von einem sehr hellhäutigen blonden Mann um die fünfzig mit dickem Oberkörper und dünnen Beinen, der pausenlos gestikuliert und etwas in einer fremden Sprache brüllt. Der Polizist mit den großen Ohren entschuldigt sich, erhebt sich langsam und widmet sich dem akuten Problemfall.
Was ist hier los?
Einer der Kollegen, ein kleines Männchen in zu großer Uniform, erklärt, sie hätten den jungen Mann erwischt, als er beim Deutschen einbrechen wollte. Der Blonde, offenbar der Deutsche, protestiert lauthals in einer Sprache, die weder Deutsch noch irgendeine andere ausländische Sprache ist, sondern ein gebrochenes Portugiesisch mit fast unverständlichem Akzent. Er brüllt, dies sei bereits das dritte Mal, dass der Kerl bei ihm einbreche, und hält dabei drei Finger hoch. Wie seiner Schilderung zu entnehmen ist, hat er ihn diesmal durch den Garten kommen sehen, sich in der Garage auf die Lauer gelegt und ihn mit einem Schlag auf den Kopf überrumpelt.
Günther hat in der Garage gewartet und klong , sagt er und simuliert dabei die Geste eines Schlagmanns beim Baseball.
Der andere Polizist berichtet, der Junge sei in der Garage mit den Füßen an einem Dachbalken festgebunden gewesen und habe kopfüber heruntergehangen. Wild gestikulierend und mit viel Geschrei erzählt der Deutsche die Geschichte weiter. Die Polizisten konzentrieren sich jedoch auf den jungen Mann, dessen Haare am Hinterkopf blutverklebt sind. Als Günther merkt, dass ihm niemand mehr zuhört, wendet er sich an ihn.
Drei Mal, ruft er aufgebracht. Drei Mal war ich schon bei der Polizei! Ich weiß, wo der Kerl wohnt! Jeder im Ort kennt ihn!
Günther trägt Ledersandalen, eine abgetragene Jeans mit aufgesetzten Seitentaschen und ein blaues Pepsi-Shirt. Er hat helle Augen und einen kurz geschnittenen weißen Bart im roten Gesicht. Der Dieb habe ihm innerhalb der letzten Wochen zwei Mal das Fenster eingeschlagen und einen Saftmixer und ein Paar Laufschuhe geklaut.
Die klauen alles Mögliche nur wegen diese Crack! Haust du auf den Kopf! Klong ! Darf man keine Angst haben vor die Typen!
Günther hält ihn am Arm fest und erzählt, er sei nach Rio de Janeiro gekommen, um seine Tochter zu holen, die von ihrer brasilianischen Mutter entführt worden war. Man hatte ihn gewarnt, Brasilien sei gefährlich, also hatte er vier Tage lang sein Hotelzimmer nicht verlassen und sich nur von Softdrinks und Erdnüssen ernährt. Als die Erdnüsse alle waren, sah er sich gezwungen, in die nächste Kneipe zu gehen. Kaum hatte er
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