Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
benötigt wurden, um ihn rauszuziehen. Ich drehe mich, die Papierservietten in den Händen, noch mal um, aber die Männer bilden eine solch geschlossene Einheit, dass ich wieder wegschaue.
Und da überkommt mich das Gefühl: Ich werde nie ein Vermonter sein können. Ich werde hier nie »für immer« bleiben können. Ich bin ein Besucher und werde früher oder später weiterziehen müssen.
Alison räuspert sich zart. Sie reicht mir die Brote. Ich nehme alles dankend entgegen, lege es in einen Pappkarton und gehe zum Kühlschrank. Ich habe Jim im Buchladen Die Aufzeichnungen eines Jägers von Iwan Turgenjew auf Englisch bestellt und hoffe, dass ich sie morgen abholen kann. Die eiskalten Wasserflaschen in der Hand, nicke ich ihm zu. Er nickt zurück.
Ich versuche zu erwägen, was Jim erwidern würde, wenn ich sagte: »Jim, ich bewundere deine Art zu leben, und ich möchte mit dir durch die Wälder streifen. Ich will so sein wie du.« Ich senke meinen Blick – es ist nicht möglich. Doch was nur müsste ich tun, um einer von ihnen zu werden?, frage ich mich. Und mir wird klar, dass, solange ich auf Birch Hill lebe, ich immer eine Fremde bleiben werde. Ich muss mein eigenes Land finden. Noch ist es die Angst, die mich hier festhält, die Angst, mich meiner eigenen Vorstellung vom Leben in der Natur zu stellen. Schließlich muss ich mit diesem Leben ganz von vorne anfangen. Doch wenn ich wirklich frei sein will, muss ich zurück an meine Basis und mich dort weiter mit dem Gedanken beschäftigen, selbst auf einer Farm zu arbeiten und vielleicht auch irgendwann meine eigene Ranch zu gründen.
Es könnte so einfach sein, hier in Vermont. Doch hier stellte sich mir immer die Frage: »Und, wie lange bleibst du?« Ich will kein Gast mehr sein, ich will mein eigener Herr werden.
Spät am Abend sitze ich im Wohnzimmer und blättere durch das Farmbuch. Es verspricht mir die Apfelblüte im Frühsommer, die Sonnenaufgänge, die lange Gesundheit durch die Arbeit an der frischen Luft, es verspricht einen langsamen, aber steten Gewinn, und es verspricht viele Geschichten.
Es warnt mich vor Klapperschlangen, vor Parasiten und Würmern, die meine Ernte vernichten, es warnt mich vor den Wölfen, die meine Kälber zerreißen, vor Unwettern, die meine Weiden überschwemmen, und vor Stürmen, die meine Elektrizität lahmlegen.
Aber wenn ich all das nicht suchen würde, hätte ich die Schweiz nie verlassen.
Und ich weiß, dass ich es irgendwann sehen werde – mein Land.
Epilog
Ap ril 2012. Ich bin nach Montana gekommen, um all die Gedanken, die sich in den letzten fünfzehn Jahren in mir aufgestaut haben, endlich freizulassen. Mit dem Wissen darüber, dass nicht nur dieses Buch, sondern auch meine Reise an einem Ziel angekommen ist, fahre ich endlose Meilen über die Highways, über Pässe und sanft geschwungene Hügel, durch die weiten Täler einer scheinbar unendlich großzügigen Welt. Ich fahre an alten Holzscheunen, die umringt sind von verwitterten Holzzäunen, und an Herden von wilden Hirschen und domestizierten Rindern vorbei. Ich verfolge die Bäche und Rinnsale in den riesigen Weiden, die sich wie fruchtbare Adern glitzernd durch die stumpfen, goldenen Wiesen schlängeln. Ich höre Vinyl Classics im Radio und singe die Lieder mit, die ich kenne und liebe. Eine große Zufriedenheit umfängt mich, und ich weiß, dass ich dieses Gefühl von dem Ort, an dem ich lebe, nicht kenne. Meine Suche nach einer Ranch, auf der ich würde leben und arbeiten können, führt mich von Bozeman nach Missoula.
Einige Meilen östlich von Missoula holt mich Mike mit einem grünen Chevrolet Truck aus den Fünfzigern ab. Er nimmt seine Sonnenbrille von der Nase, er kann kaum älter als ich sein, hat einen kurzen roten Bart und trägt ein Käppi. Mike arbeitet für die Mungas Ranch. Sie ist seit vier Generationen im Besitz der gleichen Familie. Nach dem Tod des Vaters führen die Söhne das Geschäft weiter.
Mike hat seine beiden Hunde dabei, sie stehen, freudig mit dem Schwanz wedelnd, auf der Ladefläche des Trucks und sind erpicht darauf, gleich über weite Wiesen zu rennen. Von dem klitzekleinen Hotel an der Broadway Street im nächsten Ort, wo ich für die Nacht unterkomme, zur Mungas Ranch sind es zwanzig Minuten. Ich steige auf die Sitzbank und knalle die Beifahrertür zu. Sie ist von innen mit grünem, abgewetztem Leder bezogen. Mike startet den Motor. Sofort kommen wir ins Gespräch, während ich in meinem Seitenspiegel die Köpfe
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