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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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er spielte Schlagzeug in einer Band. Aber ich fürchtete mich vor diesen Gefühlen. Jahrelang waren diese Dinge an mir vorbeigegangen, und nun glaubte ich gleich für zwei Jungs etwas zu empfinden? Ich verbot mir die Emotionen.
    Dann fragte mich Mike eines Tages, was ich von Jesse hielt. Ich meinte, ich fände ihn ziemlich cool, worauf Mike spottete, Jesse sei ein Arschloch und würde mit Geld angeben. Dieses Urteil teilte ich nicht. »Sei doch nicht so eifersüchtig. Das ist doch albern«, versuchte ich ihn von den Gedanken abzulenken, ich könnte was mit Jesse anfangen.
    Mike sah nur auf den Boden.

    Die kahlen Bäume, die wie Totempfähle am Wegrand standen, sahen zu, wie ich wieder begonnen hatte, mich selbst in Frage zu stellen. Mein Kopf fühlte sich oft schwer an. Ich hatte dunkle Ringe unter den Augen, wenn ich abends in den Spiegel sah. Und da ich noch um zehn Uhr grünen Tee trank, um zu lernen, konnte ich oft nicht einschlafen und starrte durch das Fensterquadrat in den schwarzen Himmel, wo der Mond in einem nebligen Hof stand. Mein Wunsch war wahr geworden, ich lebte nicht mehr in der Schweiz. Doch das Heimweh quälte mich.
    Ich verfluchte mich und die Tatsache, dass ich mir nichts recht machen konnte. Wohin wollte ich denn laufen! Ich wollte nach Hause, ohne zu wissen, wo mein Zuhause lag. Ich war dem süßen Duft von Freiheit nachgegangen und hatte die Fährte verloren. Es war absurd, dass ich die herrlichsten Sonnenuntergänge über den Vermonter Hügeln, die dramatischen Wolkengebirge eines nahenden Gewittersturms, die bombastische Herbstfärbung des Indian Summers auf unseren teilweise dreistündigen Fahrten zu auswärtigen Hockeyspielen betrachtete und nichts als Trauer empfand. Vor kurzem waren diese Bilder noch Teil meiner Sehnsüchte gewesen. Da war die Natur, und ich saß gefangen auf der Bank in einem Schulbus, stumm, mit Discman und Notizbuch.
    Mein Verlangen danach, alleine zu sein, steigerte sich in die Verzweiflung, nie alleine sein zu können. Jeder Winkel der Schule war bewacht, jede Minute meines Tages strukturiert, jeden Weg, den ich auf dem Campus zurücklegte, musste auf einem Papierzettel dokumentiert und unterzeichnet werden.

6
    Ei nes Abends saß ich in der Bibliothek und blätterte in meinem Biologiebuch. Ich hörte die Tür und die laute, überzogene Stimme Drews, der an die Rezeption trat und mit einem tiefen Seufzer sagte: »Guten Abend Mrs. Murphy. Howdi you do? Ich checke ein!«
    Drew war einer von Jesses Freunden und jemand, der mich immer zum Lachen bringen konnte. Er war ein bisschen schlaksig, verlässlich und gescheit. Er rauchte ab und an einen Joint, aber das passte zu ihm und seiner stets unbeschwerten Art. Ich sah über die Schulter, wie er der Aufseherin seinen Pass zuschob: »Zehn Sekunden hab ich gebraucht vom Dorm hierher, das ist Rekord, Mrs. Murphy. Notieren Sie das bitte.«
    Ich lächelte und hoffte insgeheim, dass er sich zu mir setzte. Im nächsten Augenblick rutschte er auf den Stuhl mir gegenüber und schmiss seine Bücher auf den Tisch.
    »Drew Casey!«, ermahnte man ihn vom Front Desk.
    »Wie geht’s dir?«, flüsterte er, den Oberkörper über die Hälfte des Tisches gelehnt.
    Wir unterhielten uns und lachten leise. Es wurde halb neun, und ich hatte gerade einmal das Kapitel im Biologiebuch aufgeschlagen, das ich zusammenfassen sollte.
    »Hast du einen Stift?«, fragte er, und ich gab ihm meinen roten Kugelschreiber.
    Er nahm die Kappe ab und schrieb auf dem Kopf in mein Notizbuch: »I love Switzerland.«
    »Ich muss dir was sagen«, meinte Drew dann mit seinem verrückten Blick und den scheinbar ständig hochgezogenen Augenbrauen.
    »Was?«, fragte ich.
    Da trat die Aufsicht an unseren Tisch und forderte mich auf, den Platz zu wechseln.
    »Morgen«, sagte Drew.
    Ich suchte mir einen einzelnen Tisch mit Sichtschutzplatten links und rechts, legte das Biologiebuch weg und machte erst mal meine Matheaufgaben.
    Um zehn verließ ich die Bibliothek und ging durch Fuller Hall, weil es der kürzeste Weg war, zu meinem Dorm. Ich hatte meinen Discman in der Hand und hörte irgendeine CD. In Fuller an der Wand hing eine Uhr, und darauf standen die Zeiger auf zehn nach zehn. Ich musste noch im Geschichtsbuch das Kapitel über die Boston Tea Party lesen und zusammenfassen, ich hatte meine Biologie-Zusammenfassung noch nicht geschrieben, musste noch ein Kapitel im Französischbuch lesen und die Aufgaben dazu lösen. Was hatte ich eigentlich die ganze Zeit gemacht

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