Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
aufgereiht und das eine jeweils vors andere gebunden, so dass mit den Pferden ein geschlossener Kreis um uns herum entstand. Innerhalb dieser lebenden Schutzmauer hatten wir Zeit, die Waffen anzulegen und Patronen auszuteilen. Kauernd erwarteten wir die Meute. Trotz der Hitze kroch mir die Gänsehaut über den ganzen Körper.
»Hinlegen!«, wies mich mein Bruder an. »Flach auf den Boden!«
Ich schmiss mich auf die Erde und starrte geradeaus. Die Wilden kamen im vollen Galopp auf unsere Festung zugerast. Es waren so viele, ich konnte sie nicht zählen. Mein Bruder und ich hielten die Gewehrläufe stets aufs Ziel gerichtet.
Im grellen Licht der Sonne glitzerten die Waffen der Indianer. Mit grausamer Gelassenheit brachten die Krieger ihre Pferde zum Stehen. Sie fingen an, sich untereinander zu beraten. Mein Bruder wandte sich mir zu und ermahnte mich heiser flüsternd, keine Schüsse zu verschwenden. Jeder Schuss musste tödlich sein. Mit zitternden Fingern kontrollierte ich den Lauf meiner Waffe und spannte den Hahn. Mein Mund war trocken, meine Hände aber glitschig vom Schweiß. Ich schloss den Gewehrlauf und presste die Waffe wieder an meine Schulter. Mein Atem ging flach und wurde von meinem pulsierenden Herzen schier erdrückt. Auch mein Bruder lud seine Waffe, schloss das Gehäuse und setzte an. Die Krieger hatten ihre Unterredung beendet, die Pferde begannen nervös auf der Stelle zu treten. Ein alter Indianer, dessen Kleidung darauf schließen ließ, dass er der Anführer sein musste, hob seine Hand. Es kam mir vor, als erklärte er uns damit den sicheren Tod. Er sprach laut drei, vier Worte, der Trupp verstummte, und nur ein Teil der jungen Krieger ritt hintereinander auf eine Distanz von etwa hundert Metern auf die Ebene hinaus. Ich hatte Zeit, sie zu zählen, es waren etwa vierzig. In der Entfernung beschleunigten der vorderste und die folgenden ihr Tempo. Die Formation bog nach links und näherte sich uns wieder. Ich sah der Szene teilnahmslos zu. Mein Verstand schaltete erst, als mein Bruder schrie: »Sie umzingeln uns!«
Ich beobachtete die Reiter.
»Verdammte Bastarde!«, fluchte er. »Ich hab’s gleich gewusst. Genau so steht’s beschrieben. Verflucht seien diese hässlichen Teufel! Bleib ruhig, und such dir aus der Gruppe einen einzelnen Reiter aus, auf den du schießen willst. Nur keinen Schuss verfeuern. Und nicht schießen, ehe ich das Kommando gebe.« Er fing sogleich an, die Kriegsstrategie der Indianer zu erläutern, die er in irgendeinem Buch und aus Erzählungen aufgeschnappt hatte. »Die zwanzig dort umzingeln uns im vollen Galopp. Mit Pfeilen werden sie versuchen, unsere Deckung zu stürzen. Dann werden die übrigen zwanzig das Feuer auf uns eröffnen. Sobald wir unsere letzte Kugel abgefeuert haben, übernehmen die ersten zwanzig den Rest.«
»Wir müssen mit ihnen verhandeln!«, sagte ich verzweifelt. »Wir müssen versuchen, mit ihnen zu reden! Wir wollen doch nichts Böses.«
»Aber die«, sagte mein Bruder kalt, »die wollen Böses.«
»Ich dachte, die seien uns gut gesinnt! Die können uns nicht grundlos überfallen!« Ich verstand nicht, warum ich, ohne mit den Fremden ein Wort gewechselt zu haben, auf sie schießen sollte. Ich konnte mich an den üppig ausgestatteten und geschmückten Reitern nicht sattsehen.
Kaum hatte mein Bruder aber das letzte Wort ausgesprochen, ertönte ein grässliches Kriegsgeschrei. Pfeile schwirrten durch die Luft, und die Reiter zogen ihren Kreis enger und enger. Ich rappelte mich auf. Rücken an Rücken verfolgten wir jede ihrer Bewegungen. Wir suchten uns unsere Opfer aus und zielten. Doch sowie sie dichter kamen, rutschten sie auf den Rücken ihrer Pferde in Deckung. Zu sehen war nur noch eine Hand in der Mähne und ein Fuß auf dem nackten Rücken des Mustangs. Mal tauchte sekundenschnell ein bemaltes Gesicht auf und verschwand ebenso schnell wieder. Die Pferde holten bei diesem Manöver zum vollen Galopp aus. Keiner von uns hätte treffsicher schießen können; die Pferde zu treffen wäre kein Problem gewesen, doch das war verschwendete Munition und hielt uns nicht den todbringenden Feind vom Hals. Wir würden ihm erliegen.
Ich verfolgte die Bewegungen unserer Gegner mit der Wachsamkeit einer Katze und war mir zugleich bewusst, dass ich um mein Leben würde kämpfen müssen. Die Indianer schrien und kreisten weiter und weiter um uns herum. Pfeile steckten im Holz des Wagens, bohrten sich knapp vor unseren Füßen in den sandigen Boden.
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