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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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dem Imbiss um. Natürlich
hatte sie allen Grund, heute Morgen auf Patty und auch auf Walter sauer zu
sein. Sich abgewiesen und allein zu fühlen. Aber es waren die ersten Sekunden,
in denen er so etwas wie Kälte an ihr wahrnahm, und sie waren furchtbar. Was
er an Männern in seiner Lage in all den Büchern, die er gelesen, und Filmen,
die er gesehen, nie verstanden hatte, wurde ihm jetzt klarer: Man konnte nicht
immerzu rückhaltlose Liebe erwarten, ohne sie irgendwann einmal zu erwidern.
Man erwarb sich keine Anerkennung, wenn man nur ein guter Mensch war.
    «Ich
möchte einfach bloß, dass unser Wochenendtreffen stattfindet», sagte er. «Wenn
ich die zwei Tage haben kann, um mich mit der Überbevölkerung zu befassen,
halte ich am Montag alles aus.»
    Lalitha aß
ihre Pancakes auf, ohne noch etwas zu ihm zu
sagen. Auch Walter zwang ein wenig von seinem Frühstück hinunter, dann gingen
sie hinaus in den lichtverschmutzten dunklen Morgen. Im Mietwagen rückte sie
Sitz und Spiegel zurecht, die er am Abend zuvor verstellt hatte. Als sie um
sich herumgriff, um den Sicherheitsgurt einzuklicken, legte er ihr linkisch
die Hand in den Nacken und zog sie näher zu sich heran, brachte sie beide im
Schein der ganznächtlichen Straßenbeleuchtung in einen bedeutungsvollen Augenkontakt.
    «Ich halte
es keine fünf Minuten ohne dich auf meiner Seite aus», sagte er. «Keine fünf
Minuten. Verstehst du?»
    Nach
kurzem Nachdenken nickte sie. Dann ließ sie den Sicherheitsgurt los, damit sie
ihm die Hände auf die Schultern legen konnte, und gab ihm einen feierlichen
Kuss, bevor sie sich zurückzog, um dessen Wirkung zu beurteilen. Ihm war, als
hätte er jetzt das Äußerste getan und könnte allein nicht weiter. Er wartete
einfach ab, während sie ihm, mit dem Konzentrations-Stirnrunzeln eines Kindes,
die Brille abnahm und aufs Armaturenbrett legte, ihn mit beiden Händen am Kopf
fasste und ihre kleine Nase dicht an seine führte. Vorübergehend verstörte ihn,
wie ähnlich ihr und Pattys Gesicht
in dieser extremen Nähe aussahen, doch er brauchte lediglich die Augen zu
schließen und sie zu küssen, dann war sie ganz allein Lalitha: ihre Lippen
Kissen, ihr Mund pfirsichsüß, ihr blutgefüllter Kopf warm unter den seidigen
Haaren. Er wehrte sich gegen die Empfindung, dass es falsch war, jemand so
Junges zu küssen. Ihre Jugend in seinen Händen empfand er als etwas
Zerbrechliches, und er war erleichtert, als sie sich erneut zurückzog, um ihn
mit leuchtenden Augen anzusehen. Jetzt war ein bekennendes Wort angebracht, das
spürte er, aber er musste sie unverwandt anstarren, was sie offenbar als
Aufforderung begriff, über den Schalthebel umständlich auf seinen Schalensitz
zu steigen und sich rittlings auf ihn zu setzen, sodass er sie ganz in die Arme
nehmen konnte. Die Aggression, mit der
sie ihn dann küsste, die hungrige Hemmungslosigkeit, bereitete ihm eine Freude,
die so maßlos war, dass sie die Erde unter ihm aufsprengte. Er befand sich im
freien Fall, alles, woran er glaubte, wich ins Dunkel zurück, und er begann zu
weinen.
    «Oh, was
ist denn?», sagte sie.
    «Du musst
langsam bei mir vorgehen.»
    «Langsam,
langsam, ja», sagte sie und küsste seine Tränen, wischte sie mit ihren
samtigen Daumen weg. «Walter, bist du traurig?»
    «Nein,
Liebes, im Gegenteil.»
    «Dann lass
mich dich lieben.»
    «Na gut.
Ich lass dich.»
    «Wirklich?»
    «Ja»,
sagte er weinend. «Aber wir sollten uns vielleicht mal auf den Weg machen.»
    «Gleich.»
    Sie
berührte mit der Zunge seine Lippen, die er öffnete, um sie einzulassen. In
ihrem Mund war mehr Verlangen nach ihm als in Pattys Körper insgesamt. Ihre Schultern schienen, als er sie durch ihren Nylonmantel
umfasste, aus nichts als Knochen und Babyspeck ohne Muskeln zu bestehen, aus
nichts als begieriger Geschmeidigkeit. Sie drückte den Rücken durch und
drängte sich an ihn, stieß ihm die Hüften gegen die Brust; aber dafür war er
nicht bereit. Er war es fast, aber eben noch immer nicht ganz. Sein Widerstand
am Abend zuvor war nicht einfach bloß eine Frage von Tabus oder Prinzipien
gewesen, und seine Tränen jetzt flossen nicht nur aus Freude.
    Da Lalitha
es spürte, lehnte sie sich nach hinten und musterte sein Gesicht. Als Reaktion
auf das, was immer sie darin sah, kletterte sie wieder auf den anderen Sitz
und betrachtete ihn aus größerer Entfernung. Nun, da er sie vertrieben hatte,
wollte er sie unbedingt zurück, doch aus den Geschichten von Männern in seiner
Lage, die

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