Frau des Windes - Roman
und von der Freiheitsstatue geschickt.
›Ich kann dich unmöglich besuchen, solange Max in der Nähe ist‹, hatte Maurie ihr in ihrer kantigen Schrift geantwortet, die so typisch ist für Zöglinge katholischer Schulen.
In der britischen Botschaft lernt Leonora Elsie Fulda kennen, eine selbstbewusste Angelsächsin und Ehefrau des mexikanischen Unternehmers Manuel Escobedo. Sie sind sich gleich sympathisch. Das Haus der Escobedos in der Calle Durango gleicht einer Oase. Elsie singt und lässt sich dabei von einer befreundeten Pianistin begleiten, da sie gerne mit anderen musiziert. Dank ihres energischen Wesens und ihrer Fähigkeit, Menschen zusammenzutrommeln, ist es ihr gelungen, eine Reihe kultureller Aktivitäten zu etablieren. Leonoras Talent erkennt sie sofort. Aus Europa eintreffende Künstler suchen den Kontakt zu ihr. »Für Ihre Probleme wird sich sicher eine Lösung finden«, ermutigt sie Leonora mit ihrer kräftigen Stimme. Gegenwärtig hilft sie dem renommierten Léner-Quartett, in Mexiko Fuß zu fassen. Auch für die deprimierten Flüchtlinge aus dem Spanischen Bürgerkrieg fällt ihr etwas ein. »Ich werde eine Konferenzreihe organisieren.« Ihre Dynamik muntert auf. »Jetzt heißt es, neu beginnen, statt dazusitzen und zu jammern, Mexiko hat vieles zu bieten. Selbst der Tod ist nur ein Abschnitt. Denk dran, wenn du es nicht tust, tut es auch kein anderer für dich.«
In ihrem Haus trifft Leonora Catherine Yarrow wieder, die kürzlich aus London eingetroffen ist und hier schlicht Cath genannt wird. Die drei Engländerinnen fühlen sich in vertrauter Runde.
Häufig kommen Alice Rahon und Wolfgang Paalen zu Besuch, lassen sich auf dem großen Wohnzimmersofa nieder und rühren sich nicht mehr vom Fleck. Am liebsten unterhalten sie sich über Malerei, Mexiko und präkolumbische Kunst. Nach dem Essen begeistert Alice die Anwesenden mit dem Vortrag eigener Gedichte. Paalen lässt die Besucher kleine Plastilinfiguren modellieren. Bis spät in die Nacht unterhält man sich; die beiden verabschieden sich erst, wenn Leonora zum x-ten Mal erzählt, man habe ihr Cardiazol gespritzt.
»Deine Freundin, die Malerin, ist ein bisschen exzentrisch, findest du nicht?«, sagt Escobedo zu seiner Frau.
»Mach dir wegen ihrer Spleens keine Sorgen. Ihre Verrücktheit ist mir allemal lieber als die Passivität deiner Unternehmerfreunde, deren Ehefrauen nur über Kinder und Kindermädchen reden.«
Trotz seines Misstrauens nimmt Manuel Escobedo Leonora unter seine Fittiche:
»Falls du irgendwelche Probleme hast, helfe ich dir.«
»Ich muss Maurie, meiner Mutter, schreiben und habe nicht einen Cent.«
Mittlerweile macht es Leonora nichts mehr aus, abends in den zweiten Stock ihres Hauses in der Calle Artes zurückzukehren und festzustellen, dass Renato sich verspätet hat. ›Ich führe mein eigenes Leben‹, tröstet sie sich und schläft rasch ein, während Kitty sich an ihren Hals schmiegt.
Renato nimmt sie mit zu einem Fest bei Diego und Frida in der Calle Londres im Stadtteil Coyoacán.
Diego, im Overall, setzt sich neben sie und unterhält sie mit amüsanten Geschichten. Er ist von ihrer Schönheit sichtlich angetan. Im Blauen Haus, in dem es nur so wimmelt von Leuten, die mit einem Tequila in der Hand zwischen Wohnzimmer und Küche hin- und herlaufen, herrscht eine Art Rodeo- und Volksfeststimmung. Die Frauen sind auffällig gekleidet, tragen weite, bauschige Baumwollröcke mit Blumenmustern, lange goldene Ohrringe, zu Zöpfen geflochtenes und mit bunten Wollfäden durchwobenes Haar. Vielen zerrt das Gewicht schwerer Halsketten aus präkolumbischen Steinen am Nacken. Sich wie eine Tehuana zu kleiden, mit einem Tuch um die Schultern, ist Mode.
»Ziehen sie sich jeden Tag so an?«, fragt Leonora Diego verdutzt.
»Ach was, nur bei Festen. Normalerweise kleiden sie sich genauso wie du – und ich entkleide sie und male sie nackt.«
Zu Frida Kahlo und ihrem mit farbigen Bändern durchflochtenen Haar hält Leonora Abstand. Sie mag ihre laute Art zu reden nicht besonders, ebenso wenig den dichten Kreis von Frauen, die sie umschwärmen. ›Ich glaube, Rauchen ist das Einzige, was wir gemeinsam haben‹, denkt sie.
Alice Rahon dagegen, wunderschön anzusehen mit ihrem langen schwarzen, blumengekrönten Haar und ihrem weiten tahitianischen Kleid, aus dem die nackten Arme hervorschauen, identifiziert sich mit Frida.
»Ich mag sie. Wir wissen beide, was es heißt, an ein Bett gefesselt zu sein, und wie es ist, ein
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