Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
mich, wo ich studiert hätte und warum ich ihm noch nie in einem Konzert begegnet sei. Ich freute mich wahnsinnig über sein Interesse und bekam wieder meine hysterischen Flecken, von denen einer aussieht wie Afrika.
»Die Schamesröte steht Ihnen ganz besonders gut zu Gesicht, Teuerste«, sagte Simon Reich mit sonorer Stimme. Wahrscheinlich zitierte er aus irgendeiner Operette, ich kenne mich damit nicht so gut aus. Auf mein Honorar kann sich seine Anrede nämlich nicht bezogen haben.
Jedenfalls versäumte Simon Reich über der ganzen Turtelei seinen Einsatz, und auch ich war viel zu verwirrt, um ihn rechtzeitig darauf hinzuweisen. Statt aber, wie andere das gemacht hätten, schamrot im Boden zu versinken oder in Panik loszusingen, schraubte er erst seine Thermoskanne zu, die er die ganze Zeit auf dem Schoß gehalten hatte, räusperte sich dann gründlich, suchte die entsprechende Stelle in seinen Noten, die er als Untertasse benutzt hatte, trat endlich drei Schritte vor, um optimal vor dem Mikrophon zu stehen, und sang schließlich in den seit einer Minute gehaltenen einsamen Celloton hinein: »So recht, ihr Engel, jauchzt und singet …«
Ich hielt die Luft an. Was für ein Mann! Welch ein Selbstbewusstsein! Ich fand ihn großartig.
Nach dem Konzert fragte er mich, ob ich noch ein Glas Wein mit ihm trinken wolle. Wie gerne, wie gerne blieb ich hier!
Stattdessen musste ich zum Stillen mit Paul, Frau Schmalz-Stange und Sascha in einem stillen Winkel verschwinden. Frau Schmalz-Stange hatte mit den Kindern während des ganzen Konzertes vor der Kirchentür gestanden. Nun konnte ich sie doch nicht einfach abschieben! Andererseits fand ich es unangebracht, Frau Schmalz-Stange zu dem Date mit dem Bass hinzu zu bitten, ich weiß auch nicht, warum. Irgendwie hatte ich wohl Angst davor, meinem neuen Schwarm gleich ein uneheliches Kind mitsamt peploser Kinderfrau und deren noch peploserem Sohn Sascha zu offerieren. So unkonventionell dieser Mensch auch sein mochte: auf einen Haufen peploser Frauen und Kinder hatte er mit Sicherheit keine Lust. Deshalb spielte ich lieber die Kühle und sagte verheißungsvoll lächelnd: »Ein andermal!«
Kind, das putzt ungemein!
Simon Reich schenkte mir einen tiefen Blick aus sehr blauen Augen und sagte sonor: »Wenn ich darum bitten dürfte! «
Zwei Tage später rief er bei mir an.
Mir klopfte das Herz bis zum Halse, lag ich doch gerade im Anita-Schwangeren-Ensemble auf meiner Wolldecke und trainierte durch emsiges Auf und Nieder meiner Beine die ausgeleierte Bauchmuskulatur!
Ich winkte Frau Schmalz-Stange, die am Fußende der Decke stand, sie möge mit Sascha, der Benjamin Blümchen hörend neben ihr stand, aus dem Zimmer gehen.
Paulchen schlief im Kinderwagen auf dem Balkon.
Sascha mochte aber nicht aus dem Zimmer gehen, so sehr Frau Schmalz-Stange ihn auch darum bat. Ich saß keuchend auf meiner Wolldecke und hielt die Hand auf die Sprechmuschel.
»Bitte, Sascha! Ich möchte mal telefonieren!«
Sascha schüttelte stumm den Kopf.
Benjamin Blümchen alberte deutlich hörbar unter seinen Kopfhörern herum.
»Du kannst deinen Walkman doch mitnehmen!«, zischte ich ärgerlich.
Sascha wollte aber überhaupt keine Störung hinnehmen. Frau Schmalz-Stange stand stumm und starr. Eigentlich hätte ich ja jetzt mit Simon Reich telefonieren können, weil sicherlich keiner von Beiden auch nur einen Laut von sich gegeben hätte. Aber es ging mir ums Prinzip. Ich kann einfach nicht ungestört flirten, wenn eine durch und durch gediegene Kinderfrau und deren stures Kind mit im Raum sind, ob sie nun Benjamin Blümchen hören oder nicht.
Strenggenommen wäre es ja an Frau Schmalz-Stange gewesen, ihren unerzogenen Burschen bei den Ohren zu packen und aus dem Zimmer zu zerren. Da sie aber nichts dergleichen unternahm, blieb ich ratlos auf meiner Wolldecke sitzen.
»Hallo?«, sagte ich in den Hörer. »Ich kann gerade nicht ungestört sprechen. In welcher Angelegenheit rufen Sie denn an?« Denn ich wollte nicht, dass Frau Schmalz-Stange merkte, was für ein privater Anruf es war, den mir ihr Sohn soeben vermasselte.
Simon Reich lachte sonor.
»Ist der Klavierstimmer da?«
»Genau«, sagte ich. »Das Klavier ist zur Zeit sehr verstimmt.«
Welch ein intelligentes Wortspiel bahnte sich da an!
»Wie kann man denn die Stimmung retten?«, fragte Simon Reich am anderen Ende der Leitung.
»Wann hätten Sie denn mal Zeit?«, fragte ich direkt, aber unverfänglich.
Simon Reich sagte, dass er
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