FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
an der Säule im Dom«, warf Anneliese ein.
»Du hast ja recht, aber wo ist sie dann hin? Wo steckt sie nun? Hier ist sie auf jeden Fall nicht.«
»Lass uns erst einmal wieder nach oben gehen und überlegen. Hier zwischen all den Sarkophagen und Grabplatten ist mir doch ein wenig unheimlich«, bat ihn Anneliese.
Benno nickte und ging voran. Oben an der Treppe öffnete er die Geheimtür zum Kreuzgang, ließ Anneliese zuerst hinaus, und verschloss sie wieder, indem er die Steinplatte zurückschwang und den Riegel unterhalb der verwitterten Grabplatte nach vorne zog. Dann kehrten sie in den Dom zurück.
Kaum hatten sie die Tür des Kirchenschiffs geschlossen, hörten sie ein hohes Pfeifen, dann den lauten Schlag einer Detonation. Der Widerhall dröhnte hundertfach durch den Dom.
Voller Angst warf sich Anneliese an Bennos Brust und umklammerte ihn.
»Sie beginnen zu feuern«, sagte Benno und strich ihr beruhigend über das lockiges Haar. »Der Sturm auf Magdeburg hat begonnen. Du musst aber keine Angst haben. Sie beschießen zwar die Stadt, nicht aber den Dom. Der ist ihnen selbst teuer und heilig. Sie werden ihn nicht zerstören. Er ist der älteste gotische Dom und der einzige, an dem nicht mehr gebaut wird. Hier sind wir sicher.«
Sie nickte. »Ja, ich weiß. Trotzdem habe ich Angst.«
Eine zweite Detonation folgte.
»Was ist das, Benno?«
»Das sind die neuen Geschosse, mit einer Sprengladung gefüllte Hohlkugeln. Sie richten ungeheuere Zerstörung an und zerfetzen die Menschen auf mehr als zwanzig Fuß.«
»Schrecklich!«, sagte Anneliese nur und drückte ihn fest an sich.
Benno war verwirrt von dem Duft ihrer Haut, ihrer Haare und der Wärme ihres Körpers. So nah wie jetzt war er ihr noch nie gewesen, nicht einmal bei ihrer ersten Begegnung. Süße Erregung erfasste ihn und riss ihn mit sich fort. Er vergaß alles um sich her, die Detonationen der feindlichen Geschosse, die dunklen Gemäuer der Krypta, Kaufmann Emmerich und sein Phantom, und sogar Rosa. Und dann tat er etwas, das er sich später nicht verzeihen konnte: Leidenschaftlich küsste er Anneliese auf den Mund, und sie erwiderte seinen Kuss. Doch selbst im Rausch der Gefühle war sein Herz nicht wirklich dabei.
Generalleutnant Johann Tserclaes Graf von Tilly schien endgültig die Nase voll zu haben von der Hinhaltetaktik des Magdeburger Rats. Er hatte den Ratsmitgliedern mehrfach einen ehrenvollen Frieden angeboten, sollten sie die Tore der Stadt öffnen und ihren Tribut zahlen. Jedes Mal hatten sie versprochen, darüber nachzudenken und zu beraten, aber anscheinend hofften sie immer noch auf die Hilfe der Schweden. Der Feldherr befürchtete inzwischen auch, dass ihm Gustav Adolf tatsächlich in die Quere kommen könnte, so wie schon einmal in Brandenburg. Deshalb wollte er die Eroberung beschleunigen.
Voller Wut befahl er schließlich, das Feuer zu eröffnen. Tag und Nacht wurden die Magdeburger nun von acht, rings um die Stadt errichteten, Batterien beschossen. Jede Batterie war mit dreißig Kanonen und sechs Mörsern bestückt. Täglich wurden so tausendfünfhundert Kugeln und dreihundert Bomben in die Stadt abgefeuert. Die Luft vibrierte förmlich unter den Detonationen. Schwaden von Pulverdampf hingen über den Wiesen und Feldern rings um Magdeburg. Hinter den Mauern flammten zwar immer wieder Brände auf, konnten jedoch von den Einwohnern jedes Mal schnell gelöscht werden.
Alles war fertig für den Sturm. Doch der starke Pfortenturm und das steinerne Rundell waren immer noch nicht erobert oder zerschossen. Deswegen wurde der Sturm von Tilly abgeblasen. Das Kanonenfeuer dieser beiden Bastionen würde zu viele Männer das Leben kosten. Zwanzig Soldaten konnten sich aber unter der Führung von Kapitän Wüstenhoff zum Stadtwall vorarbeiten und dort eingraben. Doch der Erfolg war nur von kurzer Dauer. Vierzig Magdeburger machten einen Ausfall und vertrieben die Soldaten wieder. Dabei töteten sie den Kapitän und nahmen zwei Soldaten gefangen.
Alles Volk in Magdeburg griff nun zu den Waffen, denn die Kaiserlichen hatten schon ihre Sturmleitern in den Gräben bereitgelegt. Sie würden ihre Stadt bis zum letzten Blutstropfen verteidigen! Die meisten hofften darauf, dass König Gustav Adolf mit seinen Schweden ihnen in letzter Minute zur Hilfe eilen würde, obwohl Domprediger Bake sie vor solchen windigen Hoffnungen warnte. Auch die Juden hätten vergeblich auf das Eingreifen des Messias gehofft, als die Römer die Stadtmauern von
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