Frevel im Beinhaus
Schwierigkeiten, oder?»
«Nein, Mutter.»
Adelina nickte nur. «Gute Nacht, Griet.» Auf dem Weg hinunter in ihre eigene Schlafkammer wurde sie das Gefühl nicht los, dass Griet ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte.
Nachdenklich zog sie ihr Kleid aus und kroch unter ihre Decke, streckte jedoch sogleich wieder ihre Füße darunter hervor. Es war tatsächlich unangenehm schwül und stickig geworden. Das Kind in ihrem Bauch – oder waren es womöglichtatsächlich zwei? – wälzte sich unruhig hin und her. Offenbar spürte es die Anspannung seiner Mutter ganz genau.
Greverode hatte seine Drohung umgehend wahr gemacht und noch am selben Tag einen der Soldaten fortgeschickt und sich an dessen Stelle im Hause einquartiert. Wolfram Stache war geblieben. So musste sie jetzt wohl oder übel zwei Männer im Haus ertragen, die ihr alles andere als freundlich gesinnt waren.
Georg Reese hatte ihr zwar versprochen, sich zu erkundigen, ob das Vorgehen des Hauptmanns tatsächlich angebracht war und wie lange dieser Zustand wohl anhalten würde, doch da er mit der Aufklärung des Mordes nicht betraut war, konnte er ihr nicht allzu viele Hoffnungen machen. Kurz nach dem Zwischenfall mit Greverode hatte er sich verabschieden müssen, da ein Gerichtsbote ihn ins Rathaus beordert hatte. Offenbar gab es neue Erkenntnisse über den Knochenraub im Beinhaus.
Adelina seufzte und streckte sich aus. An diesen frevlerischen Vorfall dachte mittlerweile wohl kaum noch jemand in Köln. Der Skandal um den städtischen Medicus versprach deutlich mehr Nahrung für Klatsch und Tratsch als ein paar alte verblichene Gebeine. Vermutlich würde man den Dieb niemals finden.
***
Der Morgen graute gerade erst, als Adelina sich schwerfällig aus dem Bett wälzte. Sie hatte kaum und nicht besonders gut geschlafen. Noch immer herrschte eine fast unerträgliche Schwüle, und selbst das Wasser in der Waschschüssel fühlte sich lauwarm an. Im Haus war alles ruhig, nicht einmal die Mägde waren schon auf. Adelina beschloss, hinunter in die Küche zu gehen und ein Brot zu backen. HäuslicheArbeiten hatten sie bislang immer beruhigt, deshalb hoffte sie auch diesmal auf diese Wirkung. Als sie die Küche betrat, sah sie sich jedoch zu ihrer Überraschung Mira gegenüber, die still am Tisch saß und mit dem Zeigefinger Muster auf die Tischplatte malte. Bei ihrem Eintreten ruckte der Kopf des Mädchens in die Höhe.
«Du bist früh auf.» Adelina trat näher. «Bedrückt dich etwas?»
Mira schüttelte den Kopf. «Ich konnte nicht schlafen. In meiner Kammer ist es wärmer als draußen.»
Verständnisvoll nickte Adelina. «Mir ging es ähnlich.» Sie nahm eine große Holzschüssel aus dem Regal, stellte sie auf den Tisch und legte einige weitere Utensilien zur Teigbereitung dazu. Dabei musterte sie ihr Lehrmädchen aus den Augenwinkeln. Etwas stimmte nicht mit Mira, dessen war sie sich inzwischen sicher.
Betont munter begann sie, die Zutaten für das Brot zu mischen, knetete den Teig ordentlich durch und gab ihn dann zurück in die Schüssel, um ihn aufgehen zu lassen. Danach eilte sie in die Vorratskammer, um Hirse für den Frühstücksbrei zu holen. Der Sack war jedoch bis auf einen winzigen Rest leer.
«Komm mit, Mira», forderte sie das Mädchen auf, das ihr bisher schweigend zugesehen hatte. «Wenn du schon so früh auf den Beinen bist, kannst du mir auch helfen. Wir müssen den neuen Sack Hirse hereintragen, den Ludowig vorgestern geholt hat.» Sie ging voraus zur Hintertür, und Mira folgte ihr. Als sie den Hof betraten, drehte Adelina sich zu ihr um. «Ich habe ihn angewiesen, den Sack in den Stall zu stellen, weil Magda gerade dabei war, die Vorratskammer … Mira? Was ist?»
Mira war in der Tür stehen geblieben und blickte erschrocken über den Hof. Eine leichte Röte überzog ihre Wangen, bevor sie ihre Augen rasch abwandte.
Verwundert wandte Adelina sich wieder um und erschrak selbst ein wenig. Hinter dem Brunnen, der zwischen dem Hof und Adelinas Gemüsegarten lag, stand Tilmann Greverode vollkommen unbekleidet und war dabei, sich mit dem kalten Brunnenwasser zu waschen. Sein Körper war breitschultrig und sehnig, die harten Muskeln an seinem Brustkorb zeichneten sich bei jeder Bewegung deutlich ab.
Er hatte sie bemerkt, blickte jedoch nur mit finsterer Miene zu ihnen hinüber und machte keinerlei Anstalten, sich zu bedecken. Rasch drehte Adelina sich wieder zu Mira um. «Geh sofort wieder hinein, Kind. Das ist kein Anblick für dich.»
Mira
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