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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Miller
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Elefanten?«
    »Das ist mir gerade eingefallen. Ein Elefant. Ich weiß auch nicht, warum. Haben wir schon einmal von Elefanten gesprochen?«
    »Ich kann mich nicht –«
    »Es ist nicht weiter wichtig.«
    Fast eine Stunde lang leitet Jean-Baptiste die Arbeit von einer Kommandobrücke aus Wintergras aus; dann beginnen seine Glieder ganz leicht zu zittern, und er entschuldigt sich und geht zum Haus des Küsters hinüber.
    Am Tisch steht Jeanne, die getrocknete Wurst in Scheiben schneidet und dabei mit ihrem ganzen Gewicht auf das Messer drückt. Auf Manettis Stuhl sitzt Armand, auf dem Schoß ein Notenheft, große, cremeweiße Seiten, schwarze Linien, Tausende tanzender Noten. Seine Stirn ist konzentriert gerunzelt, seine Finger spielen auf seinen Kniescheiben. Er blickt zu Jean-Baptiste auf und grinst. »Sieh an, sieh an«, sagt er. »Sieh an, sieh an.«
    »Sie müssen sich setzen«, sagt Jeanne, legt das Messer aus der Hand und zieht einen Hocker unter dem Tisch hervor. Jean-Baptiste lässt sich daraufsinken, schließt einen Moment lang die Augen und nimmt dann langsam seinen Hut ab.
    »Sie sind immer noch sehr blass«, sagt sie.
    »Er war schon immer blass«, sagt Armand.
    »Sie sollten zu Hause sein«, sagt Jeanne und tritt rasch an den Herd, wo auf einer Kachel am Feuer ein Topf Kaffee steht.
    »Zu Hause«, sagt Armand, »haben sie ihm ein Loch in den Kopf geschlagen. Auf einem Friedhof fühlt er sich fraglos sicherer.«
    Der Kaffee ist nur lauwarm und hat ohne sein Aroma keinerlei Geschmack, doch Jean-Baptiste stürzt ihn trotzdem hinunter und hält Jeanne die Schale hin, um sich nachgießen zu lassen. »Wo ist dein Großvater?« fragt er.
    »Er ruht sich aus«, sagt Jeanne, deren braune Augen schüchtern über die grauen des Ingenieurs hinweghuschen. Er fragt sich, was sie denkt. Die letzte Erinnerung, die er an sie und die anderen hat, ist der gemeinsame Gang in die Kirche, um Armand beim Orgelspielen zuzuhören. War das in der Nacht, in der er angegriffen wurde? In der Nacht davor? Der Woche davor?
    »Die ganze Arbeit, die das Kochen unserer exhumierten Freunde macht«, sagt Armand, »hat den alten Burschen ziemlich erschöpft. Mich erschöpft es schon, bloß daran zu denken.«
    »Ist diese Wurst essbar?« fragt Jean-Baptiste. Er nimmt ein Stück, steckt es sich in den Mund. Schweinefleisch und Schweinefett, hart wie Münzgeld.
    Armand klappt sein Notenheft zu. Er dreht sich auf dem Stuhl um und sieht dem Ingenieur zu, sieht ihm dabei zu, wie er kaut und schließlich schluckt.
    »Finden Sie mich so interessant?« fragt Jean-Baptiste.
    »Interessant? Sie wissen sehr wohl, dass ich Sie von dem Moment an, in dem Sie in meine Kirche gekommen sind, interessant gefunden habe. Ich gestehe, dass es mich fasziniert zu sehen, was Ihr Chirurg zustande gebracht hat.«
    »Sie meinen Guillotin?«
    »Ich meine Ziguette Monnard. Ich glaube, sie hat Sie fertiggemacht.«
    Die Nähte von Jean-Baptistes Wunde spannen ganz kurz. »Zumindest hatte sie das vor«, sagt er.
    »Ah, aber Ihnen fehlte noch etwas, mein Bester. Sie waren noch nicht ganz geschlüpft … Und ist das nicht ein neuer Anzug, den Sie da anhaben? Haben Sie ihn gesehen, Jeanne? Schwarz wie die Mitternacht! Bravo! Endlich hat er sich als der gute Kalvinist entpuppt, den ich schon immer in ihm vermutet habe. Wissen Sie, dass seine Mutter dieser Glaubensrichtung anhängt?«
    »Meine Mutter …« beginnt Jean-Baptiste und blickt auf den Steinboden zwischen seinen Füßen, »meine Mutter …« Er verstummt. Er ist nicht in der Stimmung für Armands Spielchen, nicht in der Verfassung, sie zu spielen. Er trinkt die zweite Schale Kaffee leer, rafft sich auf und geht nach oben, um nach Manetti sehen, sitzt eine Weile neben dem Schlafenden, erleidet, als er die Treppe hinuntergeht, einen kurzen Schwindelanfall und stürzt nur deshalb nicht hinunter, weil er rasch nach dem Geländer greift.
    »Vorderhand haben Sie genug getan«, sagt Armand, der ihn fest am Arm fasst und nach draußen begleitet. »Der Friedhof gehört immer noch Ihnen. Der arme Lecoeur war vollkommen kopflos ohne Sie.«
    »Ich sollte mit ihm reden …« sagt Jean-Baptiste.
    »Morgen ist früh genug.«
    »Ich werde in aller Frühe kommen.«
    »Daran zweifle ich nicht«, sagt Armand.
    »Und zwar in meinem Arbeitsanzug, wenn ich ihn finden kann.«
    »Wir werden für Sie bereit sein. Ich werde mir sogar Mühe geben, Sie ein, zwei Tage lang nicht aufzuziehen.« Er lächelt.
    »Als es passiert ist«, sagt

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