Fünf
Hause.» Ihr Lächeln verschwand. «Wenn ich ganz ehrlich sein soll, ein bisschen überrascht bin ich doch. Eigentlich dachte ich immer, dass Rudo eines Tages jemanden töten wird. Nicht umgekehrt.» Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, erstmals trat eine Andeutung von Trauer in ihre Augen.
Dieser Mann musste also Feinde gehabt haben, er war vielleicht sogar straffällig geworden. Beatrice würde darüber sicher etwas in seiner Akte finden, fragte aber trotzdem: «Können Sie mir sagen, wo Ihr Mann geboren wurde?»
Wenn die Wendung, die das Gespräch nahm, Graciella Estermann verblüffte, ließ sie es sich nicht anmerken. «In Schaffhausen. Sein Vater war Schweizer.»
Das S hatte den Wert neunzehn, das C drei, das H acht. Mit beinahe rührendem Eifer puzzelte Stefan die Koordinaten von Stage 4 zusammen, das konnte er prächtig alleine. Beatrice bemühte sich, ihn nicht zu stören und ihr Telefongespräch leise zu führen.
«Ich glaube, er sucht unsere Nähe. Er hat mir heute eine SMS geschickt, und sein Handy war direkt hier eingebucht. Wieso tut er das? Will er zu meinem Fenster hochsehen, während er tippt?»
«Gut möglich», erwiderte Kossar nach kurzem Nachdenken. «Er fühlt sich einerseits sicher genug, um es wagen zu können, und genießt andererseits den Kitzel, dass es vielleicht schiefgeht. Der große Unbekannte, der Ihnen im Dunkeln die Hand auf die Schulter legt und dann unbehelligt wieder verschwindet.»
Wie kühles Wasser rieselte ein Schauer über Beatrices Arme und Rücken. «Hört sich in meinen Ohren nicht gut an.»
«Nein. Der Owner hat Sie als Kontaktperson ausgesucht, Beatrice. Ich glaube, bevor sein Spiel zu Ende geht, wird er eine persönliche Begegnung mit Ihnen suchen.»
«Aber warum?» Unwillkürlich drehte sie sich zur Seite, um aus dem Fenster sehen zu können. Alles wie immer. Niemand, der ihre Aufmerksamkeit erregte. Schon Stefan hatte bei seiner Runde nichts Besonderes bemerkt.
Aber der Owner will uns ja auch zeigen, dass wir
langsam
sind, dachte Beatrice, er will seine FTF -Siegesbotschaften verkünden und uns dann voller Ironie für unsere Bemühungen danken. TFTH .
«Möglicherweise wendet er sich nicht an mich als Person, sondern als Stellvertreterin einer Gruppe. Der Polizei.»
«Nicht auszuschließen. Ebenso wenig wie die Idee, dass er Sie als Frau attraktiv findet und deshalb besonders gern mit Ihnen spielt und nicht mit Florin oder gar mit Hoffmann.» Kossar räusperte sich. «In diesem Fall müssen Sie vorsichtig sein, Bea. Ich habe Ihnen neulich geraten, ihn mit Persönlichem zu ködern. Das war möglicherweise keine meiner besten Ideen.»
Gab Kossar da etwa einen Fehler zu?
«Keine Sorge, ich habe ihm lediglich eine Liedzeile hingeworfen. Damit kann er unmöglich etwas anfangen.»
«Gut.» Er wirkte ehrlich erleichtert. «Belassen Sie es dabei, ja? Geben Sie nichts Privates von sich preis.»
Als ob das nötig wäre. Als ob er nicht schon viel mehr wüsste, als mir lieb ist.
Blass und mit grimmigem Gesicht kam Florin von der Obduktion zurück. In seinen Augen lag der gleiche harte Ausdruck wie in der Nacht zuvor, doch diesmal waren keine Beruhigungszigaretten in Reichweite.
«Estermanns Speiseröhre war schwarz. Innen. Das Gewebe völlig abgestorben, der Magen perforiert. Er ist an einer Sepsis gestorben, Vogt meint, es hätte zwei bis drei Tage gedauert und müsse unglaublich schmerzhaft gewesen sein. Der ganze Brustraum war entzündet, die Speiseröhre hat Geschwüre entwickelt, die sich allmählich selbst verdaut haben.»
«Und das Auge?»
«Mit vierzigprozentiger Flusssäure weggeätzt. Das, was Estermann getrunken hat, war ebenfalls Flusssäure, nur niedriger konzentriert. Sonst hätte der Owner nicht so lange seinen Spaß mit ihm haben können.» Florin legte beide Hände mit gespreizten Fingern auf die Tischplatte und ließ sie nicht aus den Augen, während er sprach. «Flusssäure ist eine wirklich gute Wahl. Hochkonzentriert kann man Glas damit auflösen. Aber auch stark verdünnt durchdringt sie alles, Haut und Fleisch, sie verstümmelt sogar die Knochen. Nicht sehr schnell, aber nach und nach. Ätzt sich über Tage hinweg durch den ganzen Körper.» Mit einem tiefen Atemzug ballte er die Hände zu Fäusten. «Was haben wir Neues?»
Der Themenwechsel brachte Beatrice für Sekunden aus dem Konzept, dann fing sie sich. «Koordinaten. Stefan hat die Rechenarbeit gemacht. Hier hast du Stage 5 .» Sie reichte ihm einen Ausdruck der
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