Fünf
kurz: sieben Caches, alle im März und April dieses Jahres entdeckt. Registriert hatte Shinigami sich am 26 . Februar. Kaum länger als eine Woche bevor er erstmals mit Descartes HL auf die Suche ging.
Es kostete Beatrice nicht mehr als drei Minuten, ihre Vermutung zu bestätigen. Alle sieben Caches hatte Shinigami gemeinsam mit Herbert Liebscher gehoben, und in allen sieben Einträgen hatte er sich nicht nur für den Cache bedankt, sondern auch für die Jagd.
Sie erreichte Florin noch im Büro, er war sofort am Apparat.
«Ist etwas passiert?»
«Wie? Nein, alles in Ordnung. Aber ich habe etwas entdeckt.» Sie nahm einen Schluck kalten Kaffee, der als trauriges Überbleibsel vom Frühstück auf der Anrichte stand, und verzog das Gesicht. «Ich bin mir zu neunzig Prozent sicher, dass der Owner gemeinsam mit Liebscher geocachen war. Ich schicke dir einen Link, sieh ihn dir an.»
Binnen eines Wimpernschlags war die Mail fort. Beatrice hörte durchs Telefon, wie Florin klickte. Noch mal klickte.
«Es ist der Eintrag oberhalb von Descartes HL . 6 . März.»
«Shinigami.» Florins Stimme war so klar und nah, als säße er neben ihr. Sogar näher eigentlich. «Ja. Klingt japanisch.»
Die vielen asiatischen Studentinnen kamen ihr in den Sinn. Vielleicht müssen wir die doch berücksichtigen, dachte Beatrice resigniert. Nichts, nichts, nichts lässt sich ausschließen.
«Dem werden wir nachgehen. Ich sehe gleich mal nach, ob Stefan oder Bechner noch da sind, wir brauchen die wahre Identität hinter dem Pseudonym. Ein Riesenschritt – danke, Bea.»
Dass er sich bedankte, war ungewöhnlich und hatte einen merkwürdigen Beigeschmack. Wollte er ein Gegengewicht zu Hoffmanns Angriffen schaffen?
Sie seufzte. «Gern geschehen.»
«Geh jetzt schlafen, ich mache auch bald Schluss.»
«Demnächst.» Im Hintergrund hörte sie sein Handy läuten, die Melodie, die er für Anneke eingestellt hatte. Gleich würde er es eilig haben. «Bis morgen, Florin.» Sie legte auf, bevor er es tun konnte.
Liebschers erste Cachefunde lagen beinahe sieben Jahre zurück. Er musste Geschmack an dem Suchspiel gefunden haben, lange bevor es zum Trend geworden war. Aus seinen Logeinträgen war der Enthusiasmus deutlich herauszuhören. Er war so gut wie jedes Wochenende unterwegs gewesen. Die meisten der damals gehobenen Caches existierten mittlerweile nicht mehr: Rot durchgestrichen bedeutete archiviert. Mehr als vier oder fünf Jahre schienen nur die wenigsten Caches zu überdauern.
Ein ganzes Jahr lang musste die Schatzsuche per GPS den Großteil von Liebschers Freizeit eingenommen haben, und dann …
Beatrice stutzte. Scrollte hinauf, wieder hinunter, überprüfte die Daten. Nein, kein Irrtum. Nach einem Wochenende in Wien, das ihm achtzehn neue Funde gebracht hatte, folgten eineinhalb Jahre Pause. Kein einziger Cache. Nichts.
War er krank gewesen? Oder hatte die Scheidung ihn so in Anspruch genommen? Sie würde in der Schule nachfragen müssen.
Die ersten Caches, die er danach wieder eintrug, musste er zögerlicher angegangen sein als vor der Unterbrechung. Einer, höchstens zwei pro Monat waren vermerkt und die Logeinträge deutlich einsilbiger als zuvor.
Schnell gefunden,
TFTC
. Mehr stand nur selten dabei.
Warum? Beatrice sah auf die Uhr, halb elf, viel zu spät, um Romana Liebscher jetzt noch anzurufen. Morgen.
Sie klappte das Notebook zu, ging zum Kühlschrank und konnte sich nicht zwischen Wasser und der letzten Flasche Bier entscheiden, die seit Monaten im Türfach stand.
Wasser. Sie trank es direkt aus der Flasche und genoss das Prickeln der Kohlensäure im Mund, im Hals, im Magen. Unterdrückte ein Rülpsen und fragte sich, wem gegenüber sie eigentlich höflich sein wollte.
Fest entschlossen, die zehn Minuten Freizeit, die ihr vor dem Schlafengehen blieben, zu genießen, stellte sie sich mit der Wasserflasche zum Fenster und blickte in den Himmel über der Stadt. Der Mond würde bald voll sein, höchstens drei Tage noch bis dahin.
«Shinigami», flüsterte sie ihm zu, nahm einen tiefen Schluck Wasser und zog die Vorhänge zu, vorsichtshalber, nur um sich im nächsten Moment vor die Stirn zu schlagen und zum Couchtisch zurückzulaufen.
Wieso hatte sie es nicht gleich überprüft? Jetzt musste sie den Computer noch mal starten, das alte, ächzende Ding.
Google war großzügig mit Antworten: Ein Shinigami war ein japanischer Totengeist, man betrachtete ihn als böses Omen. Blind tastete Beatrice hinter sich,
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