oben. Die anderen hatten im Fallen die Rückseite nach oben gedreht. Beatrice tat, als würde sie sie einsammeln, doch Carolin Dalamasso musste merken, dass sie sich zu viel Zeit ließ, dass sie hoffte …
Ein Keuchen. Beatrices Blick ruckte hoch, direkt in das zur Grimasse verzerrte Gesicht von Melanie. Sie starrte auf die Bilder und gab ein Heulen von sich, einen langgezogenen Laut, wie ein Tier. Ihre Brille fiel zu Boden.
«Raus hier!», zischte ihre Mutter.
«Ich wollte nicht …»
«Raus!»
Melanies Heulen wandelte sich zu etwas Höherem, Schrillerem. Sie bedeckte die Augen mit beiden Händen, und ihre Mutter musste sie davon abhalten, mit dem Kopf gegen den Türrahmen zu schlagen.
«Ich werde mich über Sie beschweren.»
Beatrice schloss die Augen und nickte, müde. «Wenden Sie sich an Walter Hoffmann. Dort rennen Sie offene Türen ein, versprochen.»
Sie floh fast aus der Wohnung, dem Haus, der Straße, doch die Übelkeit ließ sich nicht abschütteln.
Kein Zweifel, Melanie hatte jemanden erkannt, und es hatte ihr nicht gefallen.
Nur dass Beatrice sich mit diesem Wissen nichts kaufen konnte. Sie saß in ihrem Auto, die Fotos immer noch in der Hand, den Geschmack des Kaffees, der nach oben drängte, noch im Mund. Sie hatte keine Ahnung, welches der Fotos Melanies Reaktion ausgelöst hatte. Eines, mehrere, alle? Nur eines war völlig klargeworden: Der Owner tötete keine Zufallsopfer. Doch die Zusammenhänge lagen immer noch im Dunkeln. Und von Melanie Dalamasso waren keine erhellenden Erklärungen zu erwarten.
«Ich hätte es vielleicht auch getan.» Florin wollte sie trösten, aber sie kannte ihn besser. Er hatte Melanie von Anfang an nur beschützen und nie befragen wollen. Am Ende seiner Arbeit hatte bisher noch nie ein schreiendes Mädchen gestanden. Oder eine drohende Suspendierung.
«Shinigami», sagte sie, ohne auf seine Worte einzugehen. «Wann wollte Stefan mit den Informationen hier sein?»
«Jeden Moment. Die Betreiberseite ist sehr kooperativ, sagt er, sie liefern uns die Mailadresse, die der Owner für seine Registrierung verwendet hat, und die IP -Adresse, mit der er sich eingeloggt hat. Wenn es länger dauert, dann nur deshalb, weil das letzte Login mehr als drei Monate her ist. Geocaching.com hat enorm viel Traffic.»
Vielleicht, dachte Beatrice, ist das eine Spur, die der Owner zu verwischen vergessen hat. Wir haben ein bisschen Glück verdient.
Tatsächlich erschien Stefan kaum fünf Minuten später freudestrahlend in der Tür: «Die Mailadresse lautet
[email protected]. Ich habe einen in Salzburg gemeldeten Gerold Wiesner gefunden, achtundfünfzig Jahre alt, arbeitet bei den Bundesbahnen. Sieht aus wie ein Volltreffer, Leute!»
Sie freuten sich verhalten, wenn auch nur etwa eine Viertelstunde lang. Beatrice wusste zu genau, wie einfach es war, bei geocaching.com einen Account zu eröffnen. Eine gefakte gmx-Adresse zu erstellen war ebenfalls kein Kunststück. Sie gingen die polizeilichen Datenbanken durch und waren bald darauf schlauer: Wer auch immer sich hinter dem Namen Shinigami verbarg, es war nicht der Bundesbahnbedienstete Gerold Wiesner. Der war am 25 . Februar dieses Jahres bei Wartungsarbeiten nahe dem Hauptbahnhof in die Stromleitungen geraten, wenige Monate vor Pensionsantritt. Er hatte eine Frau und zwei erwachsene Töchter hinterlassen.
25 . Februar. Am 26 . hatte Shinigami sich bei geocaching.com registriert. Er musste vor dem Computer gesessen haben, neben sich die aufgeschlagene Zeitung, und die Meldung gesehen haben. Auf diese Weise musste er sich keinen Phantasienamen einfallen lassen. So einfach. So unspektakulär.
Ihre Hoffnung ruhte nun auf der IP -Adresse, doch auch da hatte der Owner sich keine Blöße gegeben: Der Computer, den er genutzt hatte, befand sich in einem Salzburger Hotel der gehobenen Klasse und stand den Gästen als Online-Terminal rund um die Uhr gratis zur Verfügung.
«Natürlich können theoretisch auch Restaurantbesucher darauf zugreifen», erklärte der Hotelmanager. «Ein Teil unseres Service, verstehen Sie?»
«Wenn ich Sie fragen würde, wer das Gerät am 26 . Februar um 15 . 42 Uhr benutzt hat, könnten Sie mir das sagen?»
«Ich fürchte, nein.» Wenn das Bedauern des Managers nicht echt war, war es zumindest gut gespielt.
«Ich verstehe. Der Mann, den wir suchen, müsste den Computer am neunten, am vierzehnten und am zwanzigsten März wieder benutzt haben, danach noch ein letztes Mal am dritten April. Er