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Fünf

Fünf

Titel: Fünf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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selten jemand auf.
    And I can feel one of my turns coming on.
    Beatrice singt mit. Sie hält sich den Papierbeutel mit den Croissants vors Gesicht wie ein Studiomikrophon.
    I feel cold as a razor blade,
    Tight as a tourniquet,
    Dry as a funeral drum.
     
    Sie riecht es, bevor sie es sieht, und wundert sich, dass ihr Herz plötzlich schneller schlägt. Darüber, dass etwas in ihr kehrtmachen will.
    Kopfschüttelnd schließt sie die Tür. Es riecht … es riecht nach …
     
    «Evelyn?»
    Nichts. Sie durchquert die kleine Küche und will an Evelyns Tür klopfen, doch die steht einen Spalt offen, also drückt sie sie auf.
    Run to the bedroom,
    In the suitcase on the left
    You’ll find my favorite axe.
    Don’t look so frightened
    This is just a passing phase,
    One of my bad days.
     
    Evelyn ist nicht da. Jemand hat ihr Zimmer verwüstet, hat auf ihrem Bett etwas geschlachtet, dabei die Wände mit Blut bespritzt und es auf den Boden tropfen lassen, hat nicht aufgepasst, denn es ist überall.
    Das, was geschlachtet wurde, liegt aufgespreizt zwischen Decken und Kissen. Es ist gut getarnt in all dem Rot, an manchen Stellen glänzt es.
    Etwas schlägt gegen Beatrices Kopf, der Türrahmen, wieso? Sie hält sich fest, Atem strömt mit einem pfeifenden Geräusch in ihren Körper, jetzt schlägt etwas gegen ihr linkes Knie. Boden. Ein roter Sprenkel ist nur Zentimeter weit von ihr entfernt, sie kann die Augen nicht abwenden. Was, wenn das auf sie zukriecht, zufließt, sie berührt?
    Would you like to watch T.V.?
    Or get between the sheets?
    Or contemplate the silent freeway?
    Would you like something to eat?
    Unter Aufbietung enormer Kräfte hebt sie den Blick bis zum Bett.
    Would you like to learn to fly?
    Would’ya?
    Would you like to see me try?
    Da! Da ist Silber. Es glänzt und funkelt, von einem Sonnenstrahl zum Leben erweckt.
    Nagellack.
    Evelyns
    Nagellack.
    Der Boden kommt näher, alles fällt, fällt langsam auf das Rot zu, zuerst die Croissants, sie landen in einer handtellergroßen Pfütze, das Rot frisst sich gierig in den Papierbeutel, der darauf abgedruckte Bäcker grinst weiter, als es seinen Mund erreicht, seine Augen …
    Dass sie schreit, begreift sie erst, als jemand sie von hinten packt, umdreht, an sich zieht und ihre Schreie von seinem verschwitzten Körper im verwaschenen T-Shirt erstickt werden. Sie schlägt, beißt und kratzt, bis sie einen Blick auf das Gesicht über dem Shirt erhascht. Holger von nebenan. Seine Hände zerren an ihr, wollen sie in die Küche schleppen,
meinGottmeinGottohmeinGott
, kreischt er.
    Augen schließen, doch es geht nicht, sie kann nicht, sie hat etwas vergessen. Was nur?
    Die Croissants.
    Eines ist im Fallen herausgerutscht, die linke Spitze ist voller Blut. Himbeermarmelade, denkt Beatrice und erbricht sich auf den Küchenboden.
     
    Die Polizistin, die mit ihr spricht, ist bemüht und freundlich, aber Beatrice kann ihr eigenes Entsetzen in ihren Augen sehen. Dafür hasst sie sie. Und dafür, dass jedes ihrer Worte etwas bestätigt, das nicht passiert sein darf.
    «Sie haben mit Frau Rieger hier gewohnt?»
    Rieger wie Tiger mit e und mit Rrrrr
, sagt Evelyn in Beas Kopf.
Wie Sieger, wie Krieger
.
    «Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?»
    «Gestern Mittag. Wir wollten –» Sie unterbricht sich, als sie zwei Männer in weißen Overalls in Evelyns Zimmer treten sieht, mit Mundschutz und Handschuhen, anonyme, verhüllte Gestalten.
    «Das sind Kollegen», erklärt die Polizistin. «Sie sagten gerade, Sie wollten etwas gemeinsam tun?»
    Auf eine Party gehen
. Wieder ist Beatrices Körper schneller als ihr Bewusstsein, denn er sondert Tränen ab und krümmt sich unter Schluchzern.
    Die Polizistin ist geduldig. «Lassen Sie sich ruhig Zeit», sagt sie.
    Nach und nach gelingt es Beatrice, Worte hervorzuwürgen. Nolas Adresse zum Beispiel, wo die Party stattgefunden hat. Die ungefähren Uhrzeiten von Evelyns erstem und letztem Anruf.
    Etwa an diesem Punkt beginnt Beatrices Gehirn mit dem Wenn-Spiel. Die nächsten Jahre soll es ihr ständiger Begleiter werden. Das Wenn-Spiel kann Stunden dauern und entfaltet seine zermürbende Wirkung zuverlässig.
    Wenn ich sie abgeholt hätte, wenn ich mit David hingefahren wäre, wenn ich sie nicht alleine gelassen hätte, wenn …
    «Wir holen Ihnen psychologische Hilfe», sagt die Polizistin, als Beatrice ein weiteres Mal zusammenbricht.
    Am Ende ist es eine Spritze, die die roten Bilder in ihrem Kopf auslöscht und das Wenn-Spiel stoppt.

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