Fünf
Ihre Einwilligung.»
«Ich weiß Ihre Sorge zu schätzen.» Es klang, als meinte er es ehrlich. «Aber ich möchte das nicht. Ich will meine Ruhe und keinen Polizisten an der Tür.»
Sie hatte eine solche Antwort befürchtet. «Haben Sie ein Mobiltelefon?»
Er sah sie verständnislos an. «Sicher.»
«Ich gebe Ihnen meine Handynummer, die meines Kollegen bekommen Sie ebenfalls. Wenn Sie sich bedroht oder auch nur beobachtet fühlen, rufen Sie uns an. Besser uns als die Notrufzentrale, denn wir wissen, worum es geht.»
Sigart blinzelte, als hätte er etwas im Auge, dann wandte er den Kopf ab. «Danke. Aber ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich wirklich von Ihrem Angebot Gebrauch mache.»
Trotzdem speicherte er die Nummern ein, und Beatrice versuchte unauffällig einen Blick in seine bereits vorhandenen Kontakte zu werfen – ohne Erfolg.
«Wir werden ab und zu eine Streife vorbeischicken, um nach Ihnen zu sehen», sagte Florin und stand von seinem Stuhl auf. «Tun Sie uns bitte trotzdem den Gefallen, auf sich aufzupassen.»
Sigart zuckte die Schultern. Es hatte keinen Sinn, er würde tun und lassen, was er wollte. Sie standen schon halb in der Tür, da fiel Beatrice etwas ein. Die Idee war ungewöhnlich, und sie war gespannt, wie er reagieren würde. «Wenn Sie einverstanden sind, möchte ich gern mit Ihrer Therapeutin sprechen. Dazu müssten Sie aber Ihre Erlaubnis geben», sagte sie.
Er zögerte. Es gab also doch Dinge, die ihm nicht gleichgültig waren.
«Was erhoffen Sie sich davon?»
«Ich greife nach jedem Strohhalm, wissen Sie? In irgendeiner Weise sind Sie mit diesem Fall verknüpft, und ich will begreifen, wie.»
Mit seiner vernarbten linken Hand knetete er die unversehrten Finger der rechten. «Sie sind ehrgeizig, nicht?»
Die Frage brachte Beatrice für einige Sekunden aus dem Konzept. «Ich bin eher … beharrlich, denke ich.»
Wieder diese verkrüppelte Version eines Lächelns. «Gut für Sie. Ich kann mich erinnern, wie sich das anfühlt.» Mit seiner blassen Zunge fuhr er sich langsam über die Lippen. «Sie können gern mit meiner Therapeutin sprechen, ihr Name ist Anja Maly, ihre Praxis liegt in der Auerspergstraße. Ich sage ihr Bescheid, dass Sie kommen.»
«Du warst nicht besonders gesprächig gegen Ende», stellte Beatrice fest, als sie zum Wagen zurückgingen.
«Ja. Ich war zu sehr auf Sigart konzentriert. Er war anders als bei unserem letzten Besuch. Ich habe überlegt, worin genau der Unterschied bestanden hat.»
«Und?»
Florin zögerte. «Ich habe nie Psychologie studiert, aber heute hat Sigart mich an jemanden erinnert. An einen Onkel, der schon lange tot ist.»
Beatrice öffnete die Beifahrertür, stieg aber nicht ein, sondern blickte zurück zu dem kleinen Balkon, der zu Sigarts Wohnung gehörte. «Dein Onkel hat Selbstmord begangen, oder?»
«Ja. Am Ende war er ganz entspannt und hat Dinge verschenkt. Hat alles losgelassen. Ich glaube, Sigart ist auch bald so weit. Sollen wir ihn nicht einweisen lassen?»
In die Psychiatrie, wegen akuter Suizidgefahr. Der Gedanke war bestechend – Sigart würde Hilfe bekommen und gleichzeitig für den Owner nicht mehr greifbar sein. Der Gedanke war bestechend.
Sie saßen bis tief in die Nacht im Büro. Vor Beatrice lagen die Fotos der drei Rätsel ausgebreitet, die der Owner ihnen bisher gestellt hatte. Ein Sänger. Ein Verlierer. Eine Schlüsselfigur. Sie suchte nach Parallelen, nach Unterschieden, nach versteckten Botschaften. Um halb elf tränten ihre Augen. «Ich fahre nach Hause. Ich bin …»
…
todmüde
, hatte sie sagen wollen, doch Sting war schneller gewesen, er sendete sein textverändertes SOS in die Welt. Das Handy steckte in der Tasche, die bei Beatrices Versuch, sie zu öffnen, vom Tisch fiel und die Hälfte ihres Inhalts auf dem Boden verstreute. Aber das Handy läutete noch.
Hoffentlich war alles in Ordnung mit den Kindern, und hoffentlich hatte der Owner nicht –
Sie las die Nachricht und erstarrte. Doch ein Geräusch musste sie von sich gegeben haben, denn durch den dicken, schmutzigen Schleier, der ihr Bewusstsein umhüllte, spürte sie Florins plötzliche Aufmerksamkeit, seine Besorgnis.
«Bea?»
Sie reagierte nicht. Erst musste sie ihre Gedanken ordnen. Die Nummer erkannte sie mittlerweile auf einen Blick, es war die der Prepaid-Karte, die in Nora Papenbergs Handy steckte. Dann begriff sie: Das hier war die Antwort auf ihre gestrige SMS . Der Ball wurde zurückgespielt. Du weißt etwas?
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