Fünf
reagierte.
Er setzte sich neben den Mann aufs Sofa und sprach leise auf ihn ein. Beatrice entfernte sich möglichst weit aus seinem Blickfeld, stellte sich ans Fenster und versuchte ihn vergessen zu lassen, dass sie hier war.
In der Wohnung war seit ihrem letzten Besuch sichtlich nicht mehr geputzt oder aufgeräumt worden. Auf den Möbeln lag Staub, am Boden einzelne Kleidungsstücke, Zeitungen, ein voller Aschenbecher – Spuren, die davon zeugten, wie sehr Konrad Papenbergs Leben aus dem Tritt geraten war.
«Selbstverständlich ist Ihre Frau ein Opfer», hörte Beatrice Florin sagen. «Wir versuchen nur zu verstehen, was passiert ist. Ich würde Ihnen gerne die Fotos von zwei Männern zeigen, vielleicht kennen Sie einen von ihnen. Wäre das in Ordnung?»
Papenberg gab keine Antwort. Kurz darauf raschelte Papier, also hatte er vermutlich genickt.
«Nein. Nie gesehen. Welchen von beiden soll Nora umgebracht haben, wenn es nach Ihrer Kollegin geht?»
«Diesen Mann hier, Herbert Liebscher.»
«Kenne ich nicht. Ich schwöre es Ihnen, wenn es anders wäre, würde ich es Ihnen sagen.»
Beatrice sah, dass die Fotos in Papenbergs Händen zitterten. Sein Gesicht war nass. «Niemand wünscht sich mehr als ich, dass der Mörder gefunden wird. Ich will Ihnen ja helfen, aber wenn Sie Nora schlechtmachen …» Er nestelte ein zerknittertes Taschentuch aus seiner Hosentasche und putzte sich die Nase. «Sie war der friedlichste Mensch, den ich kannte. Konnte kaum Fliegen erschlagen, hatte wegen der lächerlichsten Dinge ein schlechtes Gewissen. Manchmal … ist sie einfach in Tränen ausgebrochen, wenn im Fernsehen schlimme Nachrichten kamen, und war stundenlang nicht zu beruhigen. Wegen Verkehrsunfällen zum Beispiel, auch wenn sie die Menschen gar nicht kannte. So mitfühlend, verstehen Sie?» Er zerknüllte das Taschentuch in seiner Hand. «Sie hätte sich nie zur Komplizin eines Mörders machen lassen.»
«War sie immer schon so?» Beatrice legte ehrliches Interesse in ihre Frage.
«Jedenfalls seit ich sie kannte, ja. Sie hat sich auch für mehrere wohltätige Organisationen engagiert, für die Kinderdörfer zum Beispiel, für Ärzte ohne Grenzen und für Behindertenorganisationen. Nicht nur mit Spenden, auch ganz persönlich. Sie hat immer gesagt, wenn sie einmal … stirbt, will sie eine positive Bilanz vorweisen können.»
Eine Frau mit sozialem Gewissen, mit Einsatzfreude und Empathie. Sicher war etwas dran, auch wenn Papenberg sie jetzt völlig verklärte.
Beatrice bemühte sich darum, die Frustration niederzukämpfen, die in ihr hochstieg. Sie kannte diese Phasen aus früheren Fällen, dieses lähmende Fischen im Trüben. Am falschen Platz, mit dem falschen Köder. Da war Geduld gefragt, etwas, womit sie schon unter normalen Umständen Probleme hatte. Dass diesmal ein Leben von ihrer Arbeit abhing, machte es fast unerträglich.
«Du siehst erschöpft aus», sagte Florin, als sie wieder im Auto saßen. «Wir holen uns jetzt etwas zu essen, dann setzen wir uns auf eine Parkbank und machen Pause.»
«Ich habe keinen Hunger.»
«Bea, du bist schon am Limit, das ist nicht zu übersehen.»
Ihr lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch sie beherrschte sich. Unter normalen Umständen mochte sie Florins Fürsorge, aber nicht, wenn sie unter solcher Spannung stand wie heute. «Mir würde übel werden, verstehst du das nicht? Ein Kaffee, ein paar Kekse, mehr kriege ich nicht runter, und all das haben wir im Büro.»
Florin startete den Motor, wortlos. Sie sah ihn von der Seite an, entschuldigte sich innerlich für ihren schroffen Ton, richtete dann aber ihren Blick auf die Straße. Sie musste sich eingestehen, dass sie diesen Fall persönlicher nahm als andere. Indem er Evelyns Namen erwähnte, hatte der Owner eine alte Schuld bei ihr eingefordert.
Sie wusste, dass sie es tun würde, die Frage war nur, wann. Den ganzen Abend hindurch zog Beatrice immer wieder ihr Handy aus der Tasche, berührte die Tasten, versuchte, einen Text zu formulieren. Etwas Kluges, das den Owner interessierte, so hatte es Kossar gesagt.
Kurz vor acht fuhr sie zum Mooserhof, um die Kinder zu sehen. Sie erlebte einen flüchtigen Moment der Erleichterung darüber, dass beide in bester Laune waren und sie nicht allzu sehr vermissten. Mina umarmte Beatrice länger als sonst, sie hatte für ihr Diktat eine gute Note bekommen. Von jedem einzelnen Kind in der Klasse wusste sie, wie viele Fehler es gemacht hatte.
Jakob hatte
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