Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fünf

Fünf

Titel: Fünf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
Vom Netzwerk:
seine Sandkastenfreundschaft mit dem Sohn der Nachbarn erneuert und verbrachte den Tag hauptsächlich auf deren Wiese und in den Hühnerställen. Er schenkte Beatrice ein Ei, das er selbst aus einem der Nester geholt hatte.
    «Ich habe vorgestern auch etwas geschenkt bekommen», sagte er stolz. «Eine kleine Welt, die leuchtet, wenn man auf einen Knopf drückt.»
    «Einen Globus, meinst du?»
    «Globus, genau. Und Mina hat einen voll schönen Spiegel gekriegt, mit glitzernden Blumen am Rand.»
    Von Achim natürlich. «War Papa denn lange da?»
    «Nein, der ist gar nicht gekommen.»
    «Und wer schenkt euch dann so tolle Dinge? Oma?»
    «Oma doch nicht!» Er klang beinahe empört. «Aber die Gäste sind alle so nett zu uns, ein paar geben uns Euros, wenn wir ihnen etwas bringen. Manchmal kriegen wir auch Sachen. Der Mann mit dem Globus hat ganz viel Spielzeug mitgehabt, einen ganzen Sack voll, und er wollte alles am Flohmarkt verkaufen.»
    «Und da hat er dir einfach etwas davon geschenkt?»
    Jakob roch den versteckten Vorwurf und reagierte blitzschnell. «Ich habe Oma gefragt, ob ich es nehmen darf, und sie hat ja gesagt. Heute hat mir eine Frau einen Kugelschreiber gegeben, mit Pinguinen drauf! Schau!»
    Beatrice bewunderte Jakobs neue Errungenschaft ausgiebig. Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Spitze des Eis, das am Tisch lag. «Du machst dir ein Spiegelei draus, gut?», sagte er und rieb seine Nase an ihrer Wange.
    Als sie diesmal vom Gasthof ihrer Mutter wegfuhr, zurück ins Büro, erwartete sie beinahe, dass ihr wieder jemand folgen würde, doch die Straße hinter ihr war so gut wie leer. Das Ei lag auf dem Beifahrersitz, und Beatrice bemühte sich, vor jeder Kreuzung ganz vorsichtig zu bremsen. Sie fühlte sich durch die simple Anwesenheit von Jakobs fragilem Geschenk merkwürdig beschützt.
     
    «Ich will, dass er mir Sigart gibt», verlangte Beatrice. Sie hielt den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, hatte die Schuhe ausgezogen und saß mit untergeschlagenen Beinen auf ihrem Drehstuhl. Nachts war es ruhig in den Büros der Abteilung Leib und Leben, nur Florin saß noch mit schweren Lidern vor seinem Computer, eine Vergrößerung des Handyfotos von Sigarts verstümmelter Hand auf dem Bildschirm.
    Vom anderen Ende der Leitung hörte Beatrice nur schweres Atmen, hatte Kossar schon geschlafen? «Was kann ich dem Owner schreiben, um ihn zu ködern? Was kann ich ihm anbieten?»
    Räuspern. Sie konnte direkt vor sich sehen, wie Kossar seine Brille zurechtrückte. «Das ist riskant, my dear», sagte er. «Wir wissen noch nicht genug von ihm und seinen Motiven, und wir wollen ihn nicht provozieren.»
    My dear? Stumm formte Beatrice mit den Lippen die Worte nach. «Hören Sie, ich habe hier eine Chance, die kann ich nicht einfach beiseiteschieben. Wir warten seit Tagen darauf, dass Sie auch mal etwas dazu sagen, uns läuft die Zeit davon. Also, was würden Sie tun?»
    Sie sah hoch, begegnete Florins überraschtem Blick und zuckte die Schultern. Sie brauchte einen fundierten Rat. Wenn nur Kossar greifbar war, musste sie sich eben an ihn wenden.
    «Nun», sagte der Psychologe langsam, «der Owner ist Ihnen gegenüber persönlich geworden, indem er Ihre tote Freundin angesprochen hat. Versuchen Sie, ebenso persönlich zu antworten. Das ist nicht ganz ungefährlich, aber wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, eine gemeinsame Basis mit ihm zu schaffen. Und das wäre ein unbezahlbarer Gewinn. Zeigen Sie sich neugierig auf das, was er tut. Seien Sie ein gutes Publikum.» Sie hörte ihn leise auflachen. «Nur applaudieren Sie ihm nicht zu heftig.»
    Er versuchte die Augen zu öffnen, doch die Binde, die um seinen Kopf gewickelt war, saß so fest, dass sie die Lider geschlossen hielt, trotz all seiner Anstrengungen.
    Er fror, vor Kälte, vor Angst, jedes krampfartige Zittern schnürte die Fesseln tiefer in seine Handgelenke. «Hallo?», wisperte er. «Ist jemand hier?»
    Keine Antwort.
    Er schluckte die aufkeimende Panik hinunter und versuchte sich zu orientieren. Vergebens. Er konnte seit einer Stunde hier sitzen oder seit zwölf, die Bewusstlosigkeit hatte ihm jedes Zeitempfinden geraubt.
    Jedoch nicht das Schmerzempfinden. In seinem Kopf schlug ein schneller Puls mit der unbarmherzigen Schärfe einer Spitzhacke gegen seine Schädelwände. Seine Handgelenke brannten, aber die Hände spürte er nicht. Wie abgestorben. Er versuchte, seine Finger zu bewegen, konnte aber nicht feststellen, ob es

Weitere Kostenlose Bücher