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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Megaration.
     
    Wan Li, der seine Fleischrationen verspielt hatte, ging durch die ewige Kürbissuppe auf wie eine Trommel, außerdem hatte er unentwegt Dünnpfiff. Und weil alles, was in ihn hineinging und aus ihm herauskam, diese gelbe Brühe war, war er nach vierzehn Tagen nur noch ein kurzatmiger Schatten seiner selbst; wenn er ging, musste er sich an der Wand abstützen. Und jedes Mal, wenn es etwas Besonderes zu essen gab, scheuchte Wang Er die Meute mit ihren duftenden Fleischnäpfen zu ihrem früheren Chef, um den herum sie sich aufbauen musste, ganz egal ob er sich in den Innenhof flüchtete und den Kopf gegen die Wand stützte, die Augen schloss und das Essen von sich schob; ganz gleich, ob er stand, saß, hockte, kniete oder sein Hinterteil in die Luft streckte, alles stand um ihn herum und kaute das fette Zeug und klapperte mit dem Geschirr; und wenn sie schluckten, spitzten sie ihre öligen Mäuler zu einem Kuss in Richtung des unfreiwilligen Vegetariers und machten mit den Kehlen dramatische Geräusche. Wan Li schluchzte lautlos, die Tränen und die Reiskörner steckten ihm in der Kehle, und er fing an zu husten.
    Wir alle amüsierten uns prächtig und tanzten mit immer ausladenderen Gesten herum. Wan Li machte sich den Umstand zunutze, dass wir auf nichts vorbereitet waren, öffnete die Krallen und ergatterte eine Handvoll aus einem der Fleischnäpfe. Voller Trauer und Hass kaute und schluckte er, seine Augen waren wie zwei klingende Kupferglocken. Irgendjemand rief: »Brecht ihm das Maul auf«, aber als wir ihm ein Stäbchen hineinsteckten, brach es mit einem Knacken in zwei Teile, und das obere Ende des Stäbchens verschwand mit dem Fleisch und dem Gemüse zusammen in seinem Schlund.
    Die reichlichen Prügel, die er bezog, zeigten keinerlei Wirkung, also berief Wang Er eine Kritikversammlung ein und ahmte die Angriffe der Regierung auf die Zellentyrannen nach. Die »Geschädigten« kämpften um das Wort, sie wollten die Kleider zurück, die sie vor über einem halben Monat Wan Li gespendet hatten.
    »Dann sitzt unser guter Zellentyrann mit blankem Hinterteil da«, sagte der alte Bai lachend.
    »Werte Mitgefangene!«, Wang Er bestieg die Bühne und hielt eine bewegende Rede, »die dunklen Tage, an denen wir den Großgrundbesitzern Tribut zahlen mussten, sind endgültig vorüber, die chinesischen Kriminellen haben sich erhoben! Das beweist vollauf, wie das proletarische Bewusstsein von uns allen größer geworden ist. Nach dem Gesetz hat jeder, ohne Ansehen der Person, sei er nun Felldieb oder wilder Pirat, Wirtschaftskrimineller oder Konterrevolutionär, das Recht, vom Zellentyrannen Wan all die Dinge zurückzufordern, die der sich unter den Nagel gerissen hat. Früher waren wir nur wütend, aber wir wagten nichts zu sagen, heute stärkt uns die Volksregierung den Rücken, wir sind befreit!«
    Die Emotionen der Meute gingen hoch, im Nu war Wan Li nackt bis auf die Haut.
    »Und seine Unterhose gehört immer noch mir!«, erklärte ein Felldieb unzufrieden.
    Es war mitten im Winter, es zog in unserer Zelle wie Hechtsuppe, Wan Lis Arme zitterten, und er jammerte wie eine Hure Wang Er die Ohren voll: »Du hast gesagt, ich soll meine alten Sachen alle wegwerfen! Gib mir meine Klamotten wieder, die Hose, gib mir meinen Pullover zurück!«
    »Mit diesem Mist haben sie längst die Felder gedüngt!«
    »Du, du«, stotterte Wan Li und verdrehte ohnmächtig die Augen. Schnell mahnte ich: »Immer mit der Ruhe, das ist nicht witzig.«
    Wang Er kam herunter und sagte: »Der Zellentyrann Wan hat gestanden, und Konterrevolution ist der Meinung, er müsse ein wenig revolutionären Humanismus an den Tag legen. Aber nicht einmal Lin Biao oder Jiang Qing hätten wir so nackt und bloß dastehen lassen, die Politik der Partei ist sanft.«
    So ging Wan Li mit einer einzigen Hose und einem einzigen Hemd, mit nacktem Kopf und nackten Füßen durch den Winter und hatte am ganzen Körper Frostbeulen. Ich konnte das nicht sehen und verhandelte mit Wang Er, seine Reue sei offensichtlich, und ich wolle ihm Schuhe, Socken und eine Wollhose schenken. Wang Er sagte nicht gerade erfreut: »Hast du jetzt auch noch die Mitleidskrankheit? Mach du doch seinen Paten!«
     
    Das Frühlingsfest stand vor der Tür, samt der üblichen Scherung, Zellenfilzung, der großen Rundfunkversammlung, was einem die letzte Feierstimmung raubte. A Xia schrieb immer noch alle vierzehn Tage einen Brief, seit Miaomiao auf der Welt war, ging es in ihren

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