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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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versinken würde, um andererseits der kleinen Ewigkeit Nachruhm dann aber ja vielleicht doch erhalten zu bleiben. An jenem Brief verstand ich, was mein Beruf bei der Zeitung war: Er diente, auf schrullige Weise, dem Herstellen und Evidentmachen komischer Wahrheiten, die mich persönlich, anders als einige wissenschaftliche, ästhetische und philosophische Wahrheiten sonst, gar nicht besonders interessieren. Eine davon ist die: Wenn man schreibt, ist es egal, was man schreibt, sobald Leute es in die Finger kriegen, die erstens auch gern geschrieben hätten und zweitens nicht lesen können. Die Auffindung dieser Wahrheit in jenem Leserbrief glich dem, was ich als Kind einmal getan habe: nach dem Scheißen am Morgen den Haufen in der Schüssel anschauen. Es liegt nur da, es ist unerfreulich, aber es ist wahr. So lernen wir leben, nicht immer zu unserem Vorteil, und du, Philip, mußt begreifen, daß Zettas Tod zwar ein schrecklicher Verlust ist, aber nicht deiner. Du hast kein Recht auf so einen Verlust, nicht hier, nicht in diesem Leben.«
    Philip erwachte, weil Teufel ihn weckte: »Hasch no was zum Esse do, Phil?«
    4  Eine Stadt zu erobern und sie bereit zu machen für die Wiederkehr der Toten, das konnte, auch wenn es nur eine kleine Stadt war, recht schwierig sein, oft über die Maßen.
    »Es tröstet mich ja«, sprach der Dokter, als sein ausgezehrtes Gesicht allmählich so weit eingefallen heimleuchtete, daß schon Gerüchte gingen, er litte vielleicht an AIDS , »daß das in anderen Städten auch passiert, schon auf der ganzen Welt, und daß es wirklich etwas Heiliges ist, was wir machen – Astrid, hör auf, mit dem Strohhalm in der Limo rumzuschnorcheln, das ist lästig. Aber obwohl es mich tröstet, ist es eigentlich nix wert, denn wir sind hier und machen, was weiß ich, kommunale Willensbildung, Gemeindeselbstverwaltung, leisten äh unsern bescheidenen Beitrag zu überörtlichen Entscheidungen, und wie die ganze Scheiße heißt.«
    Für einen gebildeten Mann wie ihn, der eigentlich bloß in Ruhe seinen Stefan George lesen und aus den blankgeputzten Schädeln seiner Feinde das gute Dunkelbier trinken wollte, bedeutete es einen namenlosen Horror, sich die Verlautbarungen des Rates der Stadt durchzulesen, mit Bezirksvertretern im Weinkeller über Parkplätze zu diskutieren, eine Verstimmung mindestens, sachkundige Bürger zu treffen, sich zu orientieren, vertikal und horizontal, bis er denn endlich wußte, was da so überall geschah in allen Ritzen und Querverstrebungen. Nach der Gemeindeordnung gab es Pflichtausschüsse.
    Zunächst also den Hauptausschuß, der namensadäquat zuständig war für Hauptsachen, zum Beispiel, ob man alles Holz verkaufen sollte, das der Stadt gehörte, oder ob man den Nachbardörfern den Krieg erklären durfte, deren Wanderwege vielleicht auch anzünden, im Winter, damit die verschneiten Bäume nicht erfroren.
    Der Dokter sang: »Es fuhr ein knecht hinaus zum wald / Sein bart war noch nicht flück / Er lief sich irr im wunderwald / Er kam nicht mehr zurück.«
    Ganz wichtig war der Finanzausschuß, der hatte stets schön kein Geld. Weniger wichtig, aber gesetzlich von der Gemeindeordnung trotzdem vorgeschrieben, war der Rechnungsprüfungsausschuß: Die da drin saßen, mußten aufpassen, daß der Finanzausschuß nicht zuviel schön kein Geld hatte, sonst wurde das Erstgeborene jeder Familie beschlagnahmt und so lange auf das Kopfsteinpflaster der Altstadt gehauen, bis es sich als Marmelade verkaufen ließ. War der Gemeindeordnung soweit Genüge getan, gab es andere Pflichtausschüsse, die gesetzlichen Bestimmungen folgten, alt und weise wie die schwere Mutter Sau im dichten Holz: den Schulausschuß, der nie was lernen mußte, den Wahlausschuß, der zusah, daß die Kreuzchen gemalt wurden, wenn der Mann mit der Glocke durch die Straßen schlich, weil es mal wieder Ostern, Weihnachten oder Sankt Kanzler geklöppelt hatte, und endlich den Jugendhilfeausschuß, der die besten neuen Drogen ausprobierte, damit man wußte, ob man sie aus der Restwelt importieren sollte oder nicht. Diesen ganzen vorgeschriebenen Ausschüssen, deren Dummheit, als Sprengstoff betrachtet, hingelangt hätte, die kleine Stadt auf einen Schlag zum Jupiter zu schießen, schlossen sich im Gänsemarsch gleich die freiwilligen Ausschüsse an, die man zwar auch hätte bleiben lassen können, aber was Besseres zu tun hatte ja keiner, der sich da betätigte: Der Kulturausschuß war einer davon – »Worum geht es da?«

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