Für immer untot
praktisch gegen die Wand, weil sie dem Baby zuwinkte und dabei auf eine Weise das Gesicht verzog, die lustig wirken sollte. Mirandas Blick klebte ebenfalls an dem Kind, und in ihren Augen zeigte sich so viel Sehnsucht, dass ich mir Sorgen zu machen begann. »Nicht wahr?« Ich stieß sie vorsichtig an, und sie schlug mit einer Pranke nach mir. Zum Glück waren die Krallen nicht ausgefahren.
»Wir würden eine Kinderkrippe mit unserem Leben verteidigen«, teilte Miranda der jungen Mutter würdevoll mit.
Das Mädchen atmete erleichtert auf, hielt aber einen wachsamen Blick auf den nächsten Gargoyle gerichtet. Er gehörte zur kleineren Sorte, und unter der hohen Kochmütze hatte er Schlappohren in der Art eines Esels. Versuchsweise streckte er eine Hand aus, die noch übler zugerichtet war als Francoises Hände – nur ein Finger war ihm geblieben. Doch dieser eine Finger endete in einer langen, krummen, grauschwarzen Kralle.
Seine Hand zitterte, und dadurch glitt ein öliges Schimmern über den Bogen der Kralle. Das Baby bemerkte die hübschen Farben, gluckste und griff danach.
Der Gargoyle zog seine Hand mit einer schemenhaft schnellen Bewegung zurück und fiel nach hinten, über seinen eigenen dicken Schwanz. Davon schien das Baby noch mehr fasziniert zu sein, und es zappelte und quengelte, bis seine Mutter es absetzte.
Woraufhin es auf Eselsohr zukrabbelte, mit der Entschlossenheit eines Raubtiers, das sich seiner Beute näherte. Die eine pummelige Hand war ausgestreckt, und der Fuß zog die Socke hinter sich her. Die Gargoyles wichen in einem wüsten Durcheinander zurück.
Eselsohr saß zwischen dem Baby und den Backöfen fest, von denen ein Duft nach Zimt und Butter ausging. Vielleicht war es vor allem dieser Duft, der die Kleine anlockte, oder sie war nur neugierig. Was auch immer der Fall sein mochte, sie krabbelte furchtlos dem am Boden kauernden Wesen entgegen und hob fordernd die Hände. Der Gargoyle starrte sie aus großen Augen an, bis Miranda sich demonstrativ räusperte. Daraufhin nahm er das Kind, das zufriedene Geräusche von sich gab und die Hände in seinen Kittel grub, bevor es sich einen Teil seines Halstuchs in den Mund steckte.
Danach war mein Job nicht mehr so schwer.
Zehn Minuten später hatten wir uns an der Arbeitsplatte versammelt, verschlangen Zimtschnecken und tranken Milch. Das Küchenpersonal hatte mich eine Woche lang aufgepäppelt, und mir war erst nach einer ganzen Weile klar geworden, dass es sich dabei nicht um Freundlichkeit handelte. Ich war in gewisser Weise ihr Versuchskaninchen, jemand, an dem sie ihre Rezepte ausprobieren konnten und der ihnen sagte, was schmeckte und was nicht.
Offenbar hatten Gargoyles andere Geschmacksnerven als Menschen. Und jetzt stand ihnen eine ganze Gruppe neuer Tester für weitere Experimente zur Verfügung.
Neun hungrige Kinder im Zuckerrausch sorgten für ziemliche Unruhe, aber ich versuchte trotzdem, Miranda die ganze Sache zu erklären. »Ich weiß das sehr zu schätzen, aber bevor du dich einverstanden erklärst, den Babysitter zu spielen… Es gibt da einige Dinge, die du wissen solltest.«
Miranda gab keine Antwort. Sie hatte ihrem entsetzten Untergebenen das Baby abgenommen und löffelte ihm besorgniserregend schnell Apfelmus in den Mund. Ein anerkennendes Schnurren kam von ihr, als die Kleine nichts ausspuckte.
»Weißt du, die Sache ist die… « Jesse, der bereits bei seiner dritten Zimtschnecke war, warf mir einen scharfen Blick zu. Seine Botschaft war unmissverständlich und lautete: »Vermassele das nicht für uns.« Ich schluckte und machte trotzdem weiter. »Kinder, die in unserer Welt zu Streunern werden, sind oft… Ich meine, es gibt bestimmte Gründe dafür.«
»Wie bei uns«, murmelte Miranda und schenkte mir kaum Beachtung.
»Ja… in gewisser Weise.« Vorurteile und zunehmende Gewalt hatten die Gargoyles veranlasst, aus dem Feenland zu fliehen, und damit waren auch Tamis Kinder vertraut. Aber außerhalb ihres gewohnten Elements waren die Gargoyles vermutlich weitaus weniger mächtig als die Misfits. »Weißt du, wenn du mir bei der Unterbringung dieser Kinder helfen möchtest, bis ich etwas anderes für sie finde, so sollte dir klar sein… «
Ich unterbrach mich, weil mich etwas am Schienbein traf. Mein Blick ging zu Jesse, der bereits aufgestanden war. »Ich muss mit dir reden«, betonte er.
Ich rieb mir das Bein und schnitt eine finstere Miene. »Na schön.«
Wir gingen nach draußen und nahmen dort Platz,
Weitere Kostenlose Bücher