Fürchtet euch
auf meinen Sitz und sah hinten raus. Ich konnte noch immer das Licht aus der Kirche sehen, das in die Dunkelheit leuchtete, und die Menschen sahen aus wie Schatten, die sich über den Parkplatz bewegten. Zwei Männer trugen jemanden aus der Vordertür der Kirche zu einem wartenden Auto. Sie legten ihn, wer auch immer das war, in das Auto und schlossen die Tür, und dann gingen sie nach vorne und stiegen ein. Das Letzte, was ich sehen konnte, waren ihre aufleuchtenden Scheinwerfer.
»Wer ist das?«, fragte ich. »Wo ist Stump?«
»Dreh dich um«, sagte Mr Stuckey. Ich spürte seine Hand im Rücken.
»Wo ist meine Mom?«, fragte ich wieder.
»Dreh dich um und setz dich hin«, sagte er. »Wir sind gleich da. Sie wartet auf dich.«
4
Clem Barefield
Ich bin seit 1961 Sheriff von Madison County, also nächsten Monat fünfundzwanzig Jahre. Mein Großvater war auch Sheriff. In Hendersonville, North Carolina. Das liegt rund eine Stunde östlich von Asheville, circa anderthalb Stunden westlich von Charlotte. Mein Daddy war Apfelfarmer in Flat Rock, das liegt auch in Henderson County. Ich denke, ich bin in dem Glauben aufgewachsen, gern so wie sie zu werden, und ich schätze, ich habe mich richtig entschieden. Dienen und schützen, das wollte ich. Und diese Haltung hat mich hier in die Berge geführt. Als ich meinen Amtseid abgelegt hatte, trat ich die Nachfolge von Jack Moseley an, der da gerade mal siebenundfünfzig war, also noch keineswegs alt. Aber vielleicht sehe ich das nur heute so, nachdem ich selbst sechzig geworden bin. Ehe ich die Stelle annahm, fragte ich Jack, warum er aufhören wollte, und er erklärte mir, ihm wäre einfach langweilig geworden. Er sagte, hier oben in Madison County würde nie viel passieren, jedenfalls nicht viel Aufregendes. Er sagte, er fände Bachforellen und seine Enkelkinder spannender. Er sagte, ich würde schon sehen. Auch mir würde langweilig werden, und das sagte er fast so, als freute er sich schon darauf, das von mir zu hören. Aber kurz nachdem ich die Stelle angetreten hatte, starb er an einem Herzinfarkt, und ich hatte keine Gelegenheit mehr, ihm zu sagen, was ich von der Gegend und den Menschen hier halte.
Eines kann ich jedenfalls über die Menschen hier oben sagen: Sie sind anders als die Leute in Buncombe oder Henderson County oder irgendwo sonst in diesen Bergen. Die meisten hier behaupten, sie hätten irisches oder schottisches oder irgendein anderes Blut in den Adern, und ich denke, das stimmt wahrscheinlich, vor allem, wenn man die schlauen Leute von den Unis hört, die hier aufkreuzen, um einem alles über die Kultur zu erzählen, die, wie sie sagen, allmählich verschwindet. Und dann ziehen sie los und klopfen an Türen, um sich irgendwelche Folkloregeschichten auf ihre Kassettenrekorder erzählen zu lassen, stöbern in Scheunen rum, holen alte Männer von ihren Traktoren und bitten sie, ihnen ein paar alte Weisen vorzusingen.
Ich hatte schon immer gehört, dass das hier oben eine andere Welt ist, und manchmal frage ich mich, ob das nicht vielleicht sogar stimmt. Am Anfang, als ich frisch von Henderson hergekommen war, bin ich manchmal durch die Gegend gefahren, und wenn ich dann Ortsschilder mit Namen wie Mars Hill oder Jupiter oder andere in dem Stil sah, dann dachte ich:
Herrje, Clem, was hat dich bloß hierher verschlagen?
Aber eines ist sicher, es ist verdammt schön hier oben: diese grünen Felder, Farmen auf den Bergkämmen und dazwischen dunkle Täler und tiefe Schluchten, in die nie ein Strahl Sonnenlicht fällt. Wie gesagt, ich arbeite seit fast fünfundzwanzig Jahren hier, aber es gibt noch immer Orte, die ich noch nie gesehen habe, die mir noch genauso fremd vorkommen, wie sie mir vorgekommen wären, als ich damals das erste Mal nach Madison County kam. An das Gefühl habe ich mich inzwischen gewöhnt, und wenn du lange genug in einer Gegend lebst, kann es passieren, dass es dir immer schwerer fällt, die Dinge zu benennen, die dir mal fremd erschienen sind, selbst wenn die meisten Einheimischen dich auch nach zweieinhalb Jahrzehnten immer noch als Außenseiter betrachten, bloß weil du nicht hier geboren und aufgewachsen bist und alle Welt kennst.
Aber wenn ich mit dem guten Jack Moseley reden könnte, würde ich ihm wahrscheinlich sagen, dass mir nicht langweilig geworden ist, auch nicht nach all den Jahren. Natürlich gibt es Einsätze und Fälle, an die ich mich nicht mehr so im Einzelnen erinnern kann, selbst wenn ich mir Mühe gebe, aber das
Weitere Kostenlose Bücher