Fürchtet euch
auf der Stelle losfuhr.
»Ich bin noch dran«, sagte ich. »Aber ich beeil mich lieber. Wer weiß, was Ben mit diesen Kirchenleuten macht, falls welche von denen da sind, wenn er da ankommt, vor allem, wenn sein Daddy dabei ist.« Ich merkte erst, dass Sheila aus dem Raum gegangen war, als sie zurück in die Küche kam und meinen Hut in der einen Hand und in der anderen mein Pistolenholster trug. Sie legte beides neben mich auf die Theke.
»Miss Lyles Adresse ist River Road 1404 «, sagte Robby. »Rund zwei Meilen hinter der Kirche rechts. Wissen Sie, wo?«
»Ja«, sagte ich und legte auf.
»Was ist passiert?«, fragte Sheila.
»Ben Halls ältester Sohn ist in dieser verdammten Kirche ums Leben gekommen.« Ich machte meinen Gürtel auf, schob das Holster darauf und schnallte den Gürtel wieder zu. »Und anscheinend haben sie ihn in das Haus von Adelaide Lyle an der River Road gebracht.«
»Warum denn das?«
»Hättest du gern einen toten Jungen in deiner Kirche rumliegen, wenn die Polizei auftaucht?«
»Glaubst du wirklich, er ist in der Kirche gestorben?«
»Ich denke ja«, sagte ich. »Ansonsten hätten sie keinen Grund gehabt, ihn woanders hinzubringen.« Ich setzte meinen Hut auf, drehte mich um und ging durch den Flur zur Haustür, wo die Schlüssel für den Streifenwagen an einem Haken neben dem Lichtschalter hingen. Die Haustür stand offen, und ich blickte durch die Glasscheibe der Sturmtür und beobachtete einen Moment lang, wie die gelben Lichter der wahrscheinlich letzten Glühwürmchen des Sommers durch die Dämmerung des Vorgartens schwebten. Ich nahm die Schlüssel vom Haken und schaltete das Außenlicht an, und alle Glühwürmchen verschwanden. Im Spiegelbild der Glasscheibe sah ich Sheila hinter mir am Ende des Flurs stehen.
»Rate mal, wer wieder hier ist«, sagte ich zu ihr.
»Ich habe gehört, wie du mit Robby gesprochen hast«, entgegnete sie. »Denkst du, er kommt mit Ben mit?«
»Scheint so«, sagte ich. Ich schaute durch die Scheibe und sah, wie ihr geisterhaftes Spiegelbild die Arme vor der Brust verschränkte und sich gegen die Wand lehnte.
»Bitte sei vorsichtig, Clem«, sagte sie. »Lass die Dinge nicht aus dem Ruder laufen. Pass auf, dass keinem was passiert, vor allem dir nicht.«
»Ich habe nicht vor, die Dinge aus dem Ruder laufen zu lassen«, erwiderte ich, aber schon als ich es aussprach, wusste ich nur zu gut, dass sich manches Schlimme einfach nicht vorhersehen lässt.
5
Ich stieg in den Streifenwagen, schaltete das Blaulicht ein und fuhr ein Stück über den Bergkamm, ehe ich auf die Straße runter nach Marshall bog. In den Tälern weiter unten war es schon seit einer Stunde dunkel, aber hier oben wollte die Sonne noch nicht in Vergessenheit geraten, und ich sah, dass der ferne Himmel Richtung Tennessee noch rotgolden leuchtete. Mir fiel die halbgerauchte Zigarette in meiner Brusttasche wieder ein, und ich angelte sie hervor und drück- te den Zigarettenanzünder rein. Als er wieder raussprang, kurbelte ich die Scheibe runter.
Ich rauchte den Rest der Zigarette und dachte daran, dass unser Sohn Jeff noch gelebt hatte, als ich das letzte Mal zu einem Einsatz wegen Ben Hall gerufen worden war. Damals war Jeff etwa sechzehn Jahre alt gewesen, vielleicht siebzehn, und die Jungs müssen in die elfte Klasse gegangen sein. Mein Sohn war schon lange mit Ben befreundet gewesen, und ich kannte Ben fast sein ganzes Leben lang, aber das galt für so gut wie jeden hier, erst recht, nachdem Ben sich als Footballspieler einen Namen gemacht hatte. Er war wahrscheinlich der beste, den dieses County je hervorgebracht hat. Er spielte als Tackle auf der linken Seite, und er war ein kräftiger Bursche, kräftiger als die meisten seiner Teamkameraden, kräftiger als die allermeisten Linemen, gegen die er je antreten musste. Er bekam ein Stipendium an der Western Carolina University, und nachdem er sein erstes Jahr dort zur Hälfte auf der Ersatzbank verbracht hatte, wurde ihm klar, dass es in anderen Teilen dieses Landes noch kräftigere Burschen gab. Gegen Ende der Saison wurde er dann als Linebacker eingesetzt, und er machte seine Sache ganz gut: spielte bei ein paar Spielen mit, ging auf Partys, brockte sich Ärger ein und kam im Sommer wieder nach Hause, weil sein Stipendium wegen zu schlechter Noten nicht verlängert worden war. Sein Drecksack von Vater war natürlich nicht mal in der Lage, die Studiengebühren für das Herbstsemester zusammenzukratzen, also blieb Ben einfach in
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