Gabe des Blutes
gewohnte Praxis in vielen Kulturen. Aber er hätte mehr tun können, trotz seiner Unwissenheit. Er hätte Chaynes Kleider und die Laken wechseln können. Er hätte das Fieber lindern können. Kräuter hätten vielleicht den Wundbrand in einem früheren Stadium abgewendet.
»Entlass ihn, Reule. Er ist nicht zu gebrauchen«, sagte Mystique bitter. »Es wundert mich ja, dass er nicht auf diese schrecklichen Schraubzwingen bestanden hat, um die Knochen zu fixieren … als würde das in diesem Fall noch helfen.«
Reule wandte sich zu dem Pharmazeuten, als Mystique ihnen den Rücken zukehrte. Als Reule knurrend die Lippen zurückzog, um dem Mediziner seine Fangzähne zu zeigen, glänzten seine Augen bedrohlich grüngelb. Der Pharmazeut begriff. Er machte nicht einmal den Versuch, sich zu entschuldigen oder zu protestieren. Er hatte schließlich noch einen Spießrutenlauf zwischen äußerst wütenden Rudelgefährten vor sich, bevor er in Sicherheit war, also konzentrierte er sich darauf, bis er zur Tür hinaus war.
»Was brauchst du?«
Die Frage wurde unterstrichen vom Geräusch eines Dolchs, der in die Scheide zurückgesteckt wurde. Mystique blickte zu Delano auf und zog eine Braue hoch. »Eine andere Matratze. Frische Laken. Verbandszeug. Sammelt die getrockneten Kräuter in der Küche zusammen. Ich brauche Dessertgewürze, Schakalwurzel, Abendziege, weißen Sänger und Kesselgier, er wird eine kräftige heiße Brühe brauchen, wenn wir dieses Chaos beseitigt haben. Ich brauche außerdem Desinfektionsmittel. Gerstensaft und … was benutzt ihr als Grundlage für Seife?«
»Ich finde es heraus«, versprach Darcio und stürzte mit Delano davon.
»Reule, Rye, ihr seid die kräftigsten hier. Ihr müsst ihn hochheben. Wer einen schwachen Magen hat, soll gehen. Wenn wir die Verbände abmachen, wird es unerträglich stinken.«
»He, wenn ich mein Abendessen wieder von mir gebe, bitte ich die Köchin, dass sie mir noch ein bisschen Hefegebäck macht«, witzelte Amando und bedachte sie mit einem Grinsen, das die Entschlossenheit des gesamten Rudels verriet.
»Er wird vielleicht aufwachen, wenn man ihn bewegt, Reule«, sagte sie und biss sich besorgt auf die Lippen.
»Glaub mir, Kébé , nichts wird ihn wecken.«
»Gut«, flüsterte sie, »dann fangen wir an.«
Innerhalb einer halben Stunde lag Chaynes geschundener Körper auf einem Laken auf dem Boden, während die Männer eine neue Matratze auf sein Bett wuchteten. Reule und Delano standen dicht neben ihr, während sie die wunden Stellen an seinem versehrten Körper säuberte. Beide Beine waren fast bis zum Knochen mit Wundbrand bedeckt, und um die Arme stand es kaum besser. Das frische Verbandszeug lag bereit, doch Reule und Delano blickten sich über Mystiques Kopf hinweg an.
»Ich weiß nicht, was sie glaubt tun zu können. Wir beide haben so etwas schon öfter gesehen. Es gibt keine Heilung bei einer so schweren Infektion.«
Reule nickte zustimmend. »Doch sie kann es kaum schlimmer machen als dieser Idiot, der ihn quälen oder einfach sterben lassen wollte.«
»Kann einer von euch eine Wunde verbinden?«, fragte Mystique leise.
»Wir haben beide schon Wunden versorgt«, antwortete Reule.
»Gut. Aber das hier ist komplizierter. Hört gut zu. Zerreibt das Wüstenkraut und die Schakalwurzel im Mörser zu einer Art Brei. Er riecht übel und ist gelb, aber das ist normal. Schneidet Abendziege, weißen Sänger und Kesselgier in kleine Stücke, nicht größer als eine Münze, gebt sie in den Brei und füttert ihn damit, wenn wir fertig sind. Es ist nicht wichtig, dass er die Kräuter isst, nur dass sie in dem Brei sind, den er essen soll. Die warme Flüssigkeit wird die Wirkstoffe aufnehmen. Sobald ich fertig bin, streicht den Gerstensaft auf die Wunden, tragt dann die Salbe auf, und legt ihm Verbände an, aber nicht zu fest.«
»Ich verstehe nicht …«
»Schhhh.« Sie brachte Reule zum Verstummen, bevor er sie etwas fragte, was sie vielleicht nicht beantworten konnte. Etwas in ihr, in ihrem Verstand und in ihrem Körper, lenkte sie auf etwas, von dem sie wusste, dass es für das Überleben des Mannes entscheidend war. Er war zu wichtig für Reule und das Rudel, als dass sie sich etwas anhören könnte, was sie entmutigte oder ihr Angst machte.
Sie wusste, nachdem sie ihre letzten Anweisungen gegeben hatte, dass es für sie nichts anderes zu tun gab, als ihrer Intuition zu folgen. Ihr Herz klopfte wie wild, und sie hoffte, dass Reule ihre Furcht erst danach
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