Gaelen Foley - Amantea - 03
Der Kron- prinz hatte angenommen, dass Orlando etwas eifersüchtig auf ihn war, wie das bei den meisten Männern der Fall zu sein schien. Doch wenn Orlandos Hass tiefer ging, als er das bisher geahnt hatte, war er sich nicht sicher, ob er es wirklich wissen wollte.
Dennoch war Orlando ihm unangenehm aufgefallen, als er hinter seinem Rücken mit Daniela gesprochen hatte. Selbst wenn es die Absicht seines Vetters gewesen war, ihn und seine Familie zu schützen, so bedeutete Orlandos geheime Un- terredung mit Daniela doch einen Vertrauensbruch. Es war allerdings etwas Persönliches, aber die Beschuldigung von Seiten des Conte Bulbati hatte wesentlich weiter reichende Konsequenzen.
Besonders seltsam kam ihm Bulbatis wiederholte Äuße- rung vor, dass Orlando große Macht besaß und ihn töten würde, wenn er seinen Namen enthüllte. Der Schurke musste lügen, anders konnte es nicht sein.
Er hatte Orlando gerade erst am Vormittag gesehen, und nichts schien sich im Benehmen seines Vetters geändert zu haben. Der Herzog war bei den Zusammenkünften von Ra- faels neuem Kabinett anwesend und hatte seine Erfahrung mit eingebracht – was bei den oft noch unbewanderten Kabinettsmitgliedern von großem Vorteil war.
Orlando hatte sich wie immer benommen, und Rafael hatte sein Unbehagen abgeschüttelt. Wenn er nicht einmal seiner eigenen Familie traute, wem dann? Jetzt allerdings, als er über seine Arglosigkeit nachdachte, kam er sich hoffnungslos naiv vor.
Julia hätte ihn ausgelacht.
Rafael stand mit verschränkten Armen am Fenster und starrte hinaus.
Ihm gefielen seine Überlegungen selbst überhaupt nicht. Er hatte sich stets dagegen gewehrt, misstrauisch zu werden, denn das hätte bedeutet, dass Julias Verrat an ihm letztlich doch über ihn gesiegt hätte. Diesmal allerdings zwang er sich dazu, sich das teuflischste Szenario vorzustellen. Er durfte nicht unvorbereitet sein.
Vater war schwer erkrankt. Er litt an Magenkrebs. Angeb- lich. Als Kronprinz war er der Thronfolger, und er hatte keine Söhne. Orlando hatte Daniela dazu überredet, nicht mit ihm das Bett zu teilen.
Wenn Vater und er tot wären, würde der Thron an Leo übergehen. Sein Regent würde Bischof Justinian.
Der Bischof lehnte Rafael zwar ab, doch dem König und Leo war er völlig ergeben. Nein, dachte der Kronprinz, Jus- tinian ist kein Verräter. Wenn allerdings Leo die Macht be- käme und Justinian vor der Volljährigkeit des Jungen sterben würde, wer würde dann Leos Regent?
Diese Frage verursachte eine leichte Übelkeit bei Rafael.
Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn es Darius Santiago, sein wilder Schwager, geworden wäre. Aber Darius lebte seit vier Jahren in Spanien und wusste in den Angelegenheiten Amanteas nicht mehr Bescheid. Außerdem war er eigentlich ein Soldat und kein Staatsmann.
Vielleicht würde man auch den Premierminister Arturo di Sansevero wählen. Und Rafael wusste, wer der Günstling dieses Mannes war.
Orlando.
Und wenn Orlando Leo erst einmal unter seine Fittiche nahm, wer konnte garantieren, dass der Junge überhaupt achtzehn Jahre alt würde?
Rafael atmete tief durch. Wahrscheinlich übertrieb er maß- los. Bisher gab es schließlich keinerlei Beweise, dass die Krankheit seines Vaters etwas anderes als tatsächlich Ma- genkrebs war. Und auf sein eigenes Leben war bisher noch kein Anschlag verübt worden.
Überhaupt noch keiner.
Unvermittelt drehte sich Rafael um und verließ das Zim- mer. Er schritt in die Halle hinaus, um Orlandos Vorge- setzten Don Francisco, den weißhaarigen Finanzminister, aufzusuchen.
Eine böse Vorahnung erfüllte ihn. Er wollte lieber noch nicht daran denken, was geschehen würde, wenn Daniela auf einmal doch guter Hoffnung wäre. Wenn sie ihm einen Sohn gebären würde, wäre es nicht an Leo, sondern an seinem Erben, den Thron zu besteigen.
Entsetzen und Zorn erfüllten ihn, als er darüber nach- dachte, dass er Daniela möglicherweise durch die Heirat in Gefahr gebracht hatte. Hatte Orlando sie nicht bereits aufgesucht und mit ihr unter vier Augen gesprochen?
Auf dem Weg zum königlichen Stall befahl er ein paar weiteren Dienern, seine Gattin keinen Moment unbewacht zu lassen.
Über seinen Vetter verlor er noch kein Wort, da er Orlando – sollte er wirklich schuldig sein – nicht aufschrecken wollte. Sollte er nur glauben, dass der törichte Rafael nichts merkte!
Da er auch nicht wollte, dass alle von seinem Besuch bei Don Francisco erfuhren, nahm er eine unauffällige Kutsche
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