Galileis Freundin (German Edition)
vers a gen. Langsam tastete sie sich auf dem Holzfußboden an den hängenden Körper. Sie überwand ihr Grauen, fasste die schwebenden Beine an. Der Körper war steif. Seit Stunden schien er tot zu sein. Sie wich entsetzt wieder zurück bis an die Tür, stürzte durch das Treppenhaus in den Hof und musste sich dort übergeben. Ihr Magen würgte die letzten Reste der Speisen heraus, bis sie sich die grüne Galle aus dem Körper quälte. Husten überfiel sie und raubte ihr den let z ten Atem.
Ein leichter Wind blies über die Anhöhe Picchena, ein friedlicher Tag kündigte sich in der N a tur an, an dem die Markgräfin Picchena ihren Knecht und Verwalter eigenhändig beerdig t e. In einer seiner Jackent aschen entdeckte sie ein Stück Papier. Das war wohl die letzte Bo t schaft, die er seiner Herrin noch vermitteln wollte. Sie las neben dem offenen Grab.
"Ich empfand mich unwürdig, zu leben. Ich wollte nie wieder in die Burg zurückkehren. Ich nahm an, ihr wäret längst tot gewesen. Ich irrte durch die Ortschaften. Dort, wo man mich nicht kannte. Die Menschen verjagten mich. Sie verstießen mich. Sie riefen mir bereits von weitem zu, ich solle mich von dannen scheren. Sie hetzten die Hunde auf mich.
So war auf einmal mein ganzes Leben. Ich schlug nur noch um mich, verteidigte mich, versuc h te meine billige Haut zu retten. Ich aß Wasserrüben und holte mir gerade das, was auf den Fe l dern wuchs, ob reif oder nicht. Roggen und Gerste sammelte ich. Zerrieb die Ähren zwischen meinen Fingern. Kaute mit meinen alten Zähnen die Körner, wie ein Huhn sie pickt und frisst . Ich trank das Wasser aus den Bächen, legte mich in den Wald zum schlafen, manchmal in eine einsame Scheune. Ich hatte Angst, auf Menschen zu stoßen, den Fragen antworten zu müssen, verbergen zu müssen, was meine Tat war.
Ich habe für alle Zeiten einen bösen Makel auf meine arme Seele geladen. Ich irrte viele Tage und Wochen durch die Natur. Mein Leben wurde einsam. Ich hatte Sehnsucht nach meiner Burg Picchena. Ich hatte Sehnsucht nach euch, Gräfin, ich wünschte mir, ich hätte mein Ve r schulden rückgängig machen können. Ich wäre lieber neben euch an der Pest gestorben, als dieses Leid des Versagens immer wieder vor Augen haben zu müssen. Ich konnte dieser Qual nicht entfliehen. Ich wusste , dass ihr tot wart, gestorben unter unsäglichem Leid, verlassen von den Menschen, denen ihr vertraut hattet, denen ihr ein sicheres Zuhause gegeben hattet. Je mehr ich mich damit auseinandersetzen musste , desto mehr kamen mir einzelne Bilder in den Sinn. Eure Liebe zu uns, eure Fürsorge, mit der ihr euch um uns gekümmert habt. Auf der a n deren Seite das Leid, das euch angetan worden war. Ich hatte geschworen, euch zu beschü t zen. Da, wo ich es wirklich einmal gekonnt hätte, habe ich so erbärmlich versagt."
Sommer 1631 bliesen sie endlich und voller Freude vor den Toren der Burg Picchena zum E n de der Schlacht mit der schrecklichen Pest. Seit Wochen hatte es keine Ansteckungen und ke i ne Toten mehr gegeben. Auf der Burg wurde ein Freudenfest gefeiert.
Für Caterina war es eine besinnliche Stunde. Ihre Einschätzung über die Menschen hatte sich gewandelt. Sie würde bald nach Florenz zurückkehren, um die vertraglichen Verpflichtungen ihrer Ehe mit Lorenzo de’Buondelmonti, wenn er denn noch lebte, wieder aufzunehmen.
Brief an Galilei
Im Dämmerlicht der untergehenden Sonne schlich sich in einer Mönchskutte dicht an den Mauern des Klosters von S. Matteo in Arcetri eine finstere Gestalt entlang. Man rechnete das Jahr 1634. Der Mönch blieb, bedeckt durch hohe Sträucher, einen Augenblick stehen. Er erhob sein Haupt und schaute sich suchend um. Dann entdeckte er das Ziel seines Weges. Unweit von dem Kloster, wie es ihm die Beschreibung mit auf den Weg gegeben hatte, entdeckte er die weiße Front einer alternden Villa. Deutlich konnte er an der Frontseite die drei kleinen Fenster unmittelbar unter dem Dach und die beiden großen Fenster im Parterre liegend sehen. Neben dem höheren Gebäude schloss sich ein niedrigeres an, das deutlich eine Pforte zeigte, die drei Steintreppen aufwies. Zwischen Tor und dem höheren Gebäude machte er ein weiteres schmales Fenster aus, dessen Zugang mit Eisengittern versperrt schien. Das Fenster war aber weder mit Glas noch mit einem Rahmen verschlossen.
Nachdem der Mönch die untergehende Sonne in seinem sicheren Versteck abgewartet hatte, begab er sich durch niedriges Gesträuch,
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