Galileis Freundin (German Edition)
an.
Gerüchte, verehrte Caterina, sind gefährlicher als erkennbare Waffen. Ein Gerücht braucht noch nicht einmal bewiesen zu werden. Seine ständige Wiederholung ist Gefahr genug. Das Gerücht bildet sich zur tödlichen Waffe. Das Gerücht ist wie ein fliegender Pfeil, der einmal abgeschossen, nicht mehr zurückgehalten werden kann. Um die Mächtigen herum, auch um die kleinen Mächtigen, gibt es immer genügend Huren, die sich nicht scheuen, sich für ein lobendes Wort oder für ein paar Taler zu prostituieren.
In dem Gewirr der Anschuldigungen und der inquisitorischen Vernehmungen, meine liebevolle Freundin, bekam ich Angst. Ich fürchtete mich um mein kleines Dasein. Mein Leben war mir mit einem Male sehr viel wert. Ich fürchtete mich aber auch vor Strafen, vor der Qual einer Folter. Ich war klein, so klein, wie ein ängstlicher Hase. Mein Geist fürchtete sich vor einem zerquetschten Finger. Mir wurden leidende Menschen auf der Streckbank gezeigt, die höllisch schrieen . Nackte Körper, in die man mit einem Trichter unendliche Mengen Wasser füllte, bis der Bauch zu platzen drohte. Dies geschah mir alles im Auftrage des Heiligen Offiziums.
Caterina, wenn Ihr wollt, so urteilt über mich. Ich werde mich nicht wehren. Ich will auch nicht versuchen, mich zu rechtfertigen.
Als ich mich jedoch in dieser Not wieder sah , stellte ich mir selbst diese eine Frage: Warum? Warum sollte ich unter der Gewalt dieser Scheusale leiden und mein Leben hingeben? Im G e genteil, ich erging mich in den Überlegungen, dass meine Forschungen, die der Wahrheit die n ten, sich in jedem Falle durchsetzen würden. Mit oder ohne Folter, die Erde dreht sich um die Sonne, ob die Inquisitoren, die Teufel unter den Christen, das wollen oder nicht, ob sie foltern oder nicht. Ich entdeckte, dass meine Leiden im Angesicht dieser schwachsinnigen Quäler u n nütz sein würden. Ein lebender Galilei kann mehr Aussagen in die Welt transportieren, als ein gequälter und sprachloser.
Ich stritt alle meine Erkenntnisse ab. So wie es das hohe Gericht von mir verlangte.
Nun lebe ich in der Verbannung. Ich darf diese meine Landvilla und die Gärten nicht verlassen. Ich bin recht einsam. Die Verleumdung meiner selbst sind die Gedanken, die mich Nächte lang quälen, wenn ich schlaflos durch die finsteren Räume irre. Was ist der Wert einer Erkenntnis, die man verleugnet? Was ist das Leben wert, das sich selbst verleugnet?
Ich stelle mir aber auch die Frage, wer bestimmt, was und wie viel ein Mensch wert ist?
Caterina Picchena, meine teure Freundin, antwortet auf diese Fragen für euch selbst. Antwortet nicht für mich. Für mich muss ich meine eigenen Antworten finden. Was ist der Mensch wert, der sich seine Antworten stets von anderen vorgeben lässt ?
Ich erinnere mich an eine kleine Caterina Picchena, die ich vor langer Zeit auf der Burg Pi c chena in einen Disput verwickelt habe. Mit einem stolzen Schwert in der Hand focht dieses junge Mädchen für seine Gedanken, für seine Meinungen und seine Überzeugungen. Mit B e geisterung nahm ich diese Caterina Picchena wahr. Mit Vernunft und so genannter Lebenserfa h rung versuchte ich meine Missbilligung zu begründen. Wie war es doch billig von mir. Wie u n verständlich. Ich hatte Unrecht.
Wenn Ihr, Caterina Picchena, in der Zukunft Eures Daseins, vor ähnliche Aufgaben gestellt werdet, wie ich sie vor kurzem zu entscheiden hatte, wenn Ihr Euch fragt, wie die richtige En t scheidung auszusehen habe, dann erinnert Euch immer an das Bild der streitlustigen, jungen Caterina in der Burg der Picchena, die schon vor vielen Jahrhunderten so viele freiheitliche Geister beherbergt hat. Der junge aggressive Geist mit all der Widerstandskraft, die in ihm b e gründet ist, ist der einzige, richtige Weg für eine gemeinsame freiheitliche Zukunft der Menschheit. Dieses Ziel ist immer lebens-und erstrebenswert.
Wenn Ihr dereinst fragt, was Ihr für den alternden Galilei tun könntet, so ist es genau dies. Folgt mir nicht nach. Aber beherzigt meine flehenden Worte.
Ich sehe Euch, Tochter aus dem stolzen Hause eines ehrwürdigen Geschlechtes, mit Achtung und Liebe. Was die Vorväter dereinst mit dem Schwert besorgt haben, das verrichtet heute mit Worten und den notwendigen Taten.
Der guten Vorschläge sind genug gesprochen. Trefft Eure eigenen Entscheidungen. Trefft i m mer und ewig die Entscheidung nach dem Ziel, was ist es, was das Leben bis in die Ewigkeit hinein lebenswert macht?
In großer Liebe und
Weitere Kostenlose Bücher